München - Die Bibliothek von Karl Wolfskehl
München
In München lebte Wolfskehl die längste Zeit seines Lebens: von 1983 an mit Unterbrechungen bis 1933. Als zentrale Referenzgröße für das kulturelle Leben der Stadt ging der ›Zeus von Schwabingen‹ hier einerseits in die Bücher anderer ein (zum Beispiel in Fanny zu Reventlows Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil), der genuis loci prägte andererseits auch seine eigene Bibliothek. Inwieweit München um 1900 ein prädestinierter Ort für (bibliophile) Sammler gewesen ist, beschreibt noch heute Wolfskehls Aufsatz Heilige Narretei. Münchner Sammlererinnerungen.
Darüber hinaus ist die bayrische Landeshauptstadt jedoch auch der Ort, an dem Wolfskehl vor allem vor dem Ersten Weltkrieg ein soziales Netzwerk etablierte. Zahlreiche Buchgeschenke aber auch die Bibliothek flankierende Quellen wie Briefe und Adressbücher bezeugen seine Bekanntschaft mit namenhaften zeitgenössischen Schriftsteller:innen und Künstler:innen, Intellektuellen, Antiquar:innen oder Verlagspersönlichkeiten. Zuerst in der Schwabinger Leopoldstraße, später in der Römerstraße begründete das Ehepaar Wolfskehl eine illustre Salonkultur. Die Rolle von Hanna Wolfskehl (geb. de Haan) als eigenständiger Akteurin ist dabei hervorzuheben und wird durch die Buchbestände bestätigt: einige Widmungsexemplare sind explizit Karl und Hanna zugeeignet, andere – etwa der abgebildete Band von Lasker-Schülers Hebräischen Balladen – fanden sogar als dezidiert ihre Werke Eingang in die Bibliothek.
Mit Blick auf Wolfskehls Münchner Konstellationen ist zudem die Freundschaft mit Stefan George hervorzuheben, die hier ihren Ausgangspunkt nahm und zwischen 1900 und 1910 zu einer geradezu familiären Vertrautheit erwuchs. Bis zur Aufgabe der Schwabinger Wohnung logierte der ›Meister‹ oft mehrere Wochen oder Monate eines Jahres bei Wolfkehls. So lernte George auch Wolfkehls einzigartige Sammlung zu schätzen – die er um wertvolle Privatdrucke des eigenen Werks und die gemeinsam herausgebrachten Anthologien ergänzte. Dabei blieben Wolfkehls Kontakte gleichwohl nicht auf den elitären George-Kreis beschränkt. Sein »überschwängliches Herz umfing [auch] Menschen und Räume, die außerhalb des Georgischen Bezirks lagen« (Landmann 1988, S. 7) – etwa Martin Buber.
War die bayrische Landeshauptstadt für Wolfskehl zunächst ein Ort der Befreiung, so ermattete ihr Glanz mit dem zunehmenden Antisemitismus sowie der Hyperinflation nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend. Infolge des Wertverlusts seines Vermögens sah sich Wolfskehl in den 1920er Jahren zur Erwerbsarbeit veranlasst, unter anderem in beratender Tätigkeit für die Rupprecht-Presse.
Text: Sarah Gaber