Johann Nikolaus Frobese

 

       Der Mathematiker, Physiker und Philosoph Johann Nikolaus Frobese, 1701 in Goslar geboren und 1756 in Helmstedt gestorben, ist wie die drei anderen in der Praefatio des Auktionskatalogs genannten Professoren als Ansprechpartner für die Verkaufsaktion angeführt; er war damit ebenfalls administrativ an der Auflösung der privaten Büchersammlung von Johann Gottfried Lakemacher beteiligt. Frobese wird diese Aufgabe freiwillig übernommen oder von der Universitätsleitung übertragen bekommen haben. Wie gut er den Verstorbenen kannte, ob er ihm persönlich nahestand, wie es bei Hermann von der Hardt der Fall war, ist schwer zu sagen. Die oratio funebris (Leichenrede), die Frobese 1736 auf Lakemacher hielt, die später aber anonym veröffentlicht wurde,[1] lässt eine engere Bekanntschaft vermuten. Dass der Programma in funere viri celeberrimi atque excellentissimi Joh. Gothofredi Lakemacheri Philos. D. Graecae nec non Oriental. Linguarum Professoris [...] überschriebene Nachruf Frobeses Autorschaft trägt, wissen wir von Asaph Ben-Tov, der bei seiner Erforschung des akademischen Milieus der Orientalistik im deutschsprachigen Raum auf Johann Georg Meusel stieß, dem die entsprechende Autoridentifikation der Rede 1804 gelang.[2] Frobese jedenfalls tritt im Katalog als Universitätsangehöriger hervor, der sich – einer Anordnung Folge leistend oder in Übereinstimmung mit einer inoffiziellen Abmachung innerhalb der Professorenschaft – um den Verkauf der Professorenbibliothek des verstorbenen Kollegen kümmerte.

Nach dem Besuch der öffentlichen Schule in seiner Heimatstadt Goslar ging der 19-jährige Frobese 1721 nach Helmstedt zum Studium der Mathematik, später auch der Theologie. Logis nahm er bei dem Philosophen und Professor für Physik Cornelius Dietrich Koch (1676–1724; auch als Theologieprofessor ausgewiesen). Für dessen Kinder fungierte er als Hauslehrer. Außer bei Koch hörte Frobese theologische Vorlesungen bei Johann Lorenz (Abt) Mosheim (1693–1755), belegte Lehrveranstaltungen in Mathematik und Hebräisch bei Hermann von der Hardt (1660–1746) und solche zur Anatomie bei Lorenz Heister (1683–1758). Im Mai 1722 wurde er mit einer philosophisch-theologischen Disputation bei C.D. Koch promoviert. Obwohl Theologie sein Hauptfach war, galt seine Leidenschaft der Mathematik und der Philosophie, später auch der Physik. 1723 wechselte Frobese nach Halle an der Saale, wo er sein Studium der Philosophie bei dem berühmten Aufklärer und Universalgelehrten Christian von Wolff (1679–1754) fortsetzte, dem er nach dessen Ausweisung durch den preußischen König nach Marburg folgte. 1725 finden wir Frobese in seiner Heimatstadt Goslar, wo er einige Male als Prediger auftrat, von wo aus er 1726 an die Academia Julia zurückkehrte. In der kleinen Universitätsstadt am Elm ließ er sich als Vertreter der Leibniz-Wolffschen Philosophie zum Magister philosophiae promovieren, neun Jahre später wurde er dort durch Anordnung von Ferdinand Albrecht II., Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel zum außerordentlichen Professor an der Philosophischen Fakultät und zwei Jahre später, Anfang März 1737, durch dessen Sohn Karl I. zum ordentlichen Professor der Logik und Metaphysik ernannt. Im März 1742 bestallte ihn König Georg II. von Großbritannien (in Personalunion auch Kurfürst von Hannover) zum Professor der Mathematik und Physik. Frobese starb fünf Jahre, nachdem er 1751 seine philosophischen Lehrveranstaltungen beendet, die mathematischen und physikalischen jedoch weiter betrieben hatte. Ob er seine Vorlesungen erst in den fünf letzten Lebens- und Arbeitsjahren statt in den Räumlichkeiten der Universität im eigenen Haus in Helmstedt abhielt – wie es dokumentiert ist – oder bereits seit Beginn seiner Karriere, ist ungewiss. Festzuhalten ist, dass Frobeses Fächerspektrum Philosophie und Logik, Metaphysik und Astronomie, vor allem aber Mathematik und Physik umfasste, dass er zudem eine praktische Anleitung zum Glasschleifen anbot. Er gilt als der bedeutendste Physiker der welfischen Landesuniversität. Unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen sind eine Mathematikgeschichte und eine Biographiesammlung von Mathematikern, die unvollendet blieb.[3]

In Übereinstimmung mit Physik als seinem Schwerpunktfach, besaß Frobese eine bemerkenswerte Sammlung von Messinstrumenten und Apparaten, darunter Barometer und verschiedene Arten von Waagen, Astrolabien, Luftpumpen, Modelle für ein Paternosterwerk und Mausefallen.[4] Wie umfangreich seine Privatbibliothek war, ist nicht dokumentiert; anzunehmen ist, dass sie beträchtlich war. Erinnert sei daran, dass die Helmstedter Professoren den größten Teil ihrer Forschungsliteratur selbst anschaffen mussten, weil der von der Landesregierung bewilligte Erwerbungsetat für aktuelle Fachliteratur nicht ausreichte. Bertram Lesser ist im Zusammenhang mit der Erschließung der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften auf eine Quelle gestoßen, derzufolge Frobese Anstoß am schlechten Zustand der Bücher in der Helmstedter Bibliothek nahm. Dem Berliner Historiker und Rechtsgelehrten Johann Carl Conrad Oelrichs (1722–1799), den seine Bildungsreise u.a. nach Helmstedt führte, wo seine Aufmerksamkeit auch den Bücherschätzen der Academia Julia galt, gab er zur Auskunft, der Buchbestand befände sich in einem derart schlechten Zustand, dass er Gästen nicht mehr gezeigt werden könnte; Frobese sei, so Oelrich in seinem Tagebuch, „bey seiner Station in Helmstädt nicht vergnügt […]; er klagte mir unter anderm auch, daß zwar die Akademie hier 2 Bibliotheken habe, die Rudolphaeam et Academicam keine aber in Ordnung sey [...]; sie wären dabey in einem sehr schlechten Zimmer verwahret, daß man niemanden darein führen könne.“[5] Was, fragt man sich, will man mit solchen ramponierten Bänden anfangen, wenn sie überhaupt aktuell sind? Die starke Präsenz von Bücherauktionen in Helmstedt – mit der Bibliothek Lakemachers als bezeichnendem Beispiel – zeigt denn sehr deutlich, in welch hohem Maß die Literaturversorgung vom privaten Buchbesitz der Professoren abhing. Frobese kaufte bei der Veräußerung der Lakemacherschen Sammlung selbst zahlreiche Bücher, 121 Titel sind auf seinen Namen verbucht. Die thematische Präferenz von Mathematik und Physik als Lehrfächer zumindest in der fortgeschrittenen professoralen Karriere findet sich nicht im Erwerbungsspektrum gespiegelt, kann es auch nicht, weil Lakemachers Bibliothek eine gänzlich andere fachliche Fokussierung aufweist. So wählt Frobese vor allem Bücher, die der – aus heutiger Sicht so zu charakterisierenden – Landeskunde, Naturphilosophie, Religions- und Sprachgeschichte zuzurechnen sind, vor allem Werke der Orientalistik, römische und griechische Geschichte, Bücher zum jüdischen Altertum, Lexika und Grammatiken (vor allem orientalischer Sprachen), ebenso zur antiken Philosophie (Aristoteles) und Naturforschung (Ptolemäus, Theophrast). Hinzu treten Werke von und über Theologen und Kirchenväter (Hieronymus), eine Reisebeschreibung in den Nahen und Fernen Osten, eine nach Italien, Dalmatien, Griechenland und in die Levante, ein Band über Palästina und einer über die Sarazenen. Für Numismatik interessiert sich Frobese, Schriften humanistischer Gelehrter und Philosophen (mehrere von Justus Lipsius) landen in seinem Korb, last but not least Bibliothekskataloge.

Apropos Frobese als Leser: Ob Frobese sämtliche Titel für sich selbst kaufte oder ob er auch im Namen anderer Personen Bücher erwarb, ob er mit den gekauften Büchern arbeitete und sie tatsächlich las, wissen wir nicht. Ebenso wenig ist bekannt, wie oft er Bücher aus den Helmstedter Universitätssammlungen entlieh. Wir sind aber in der Lage, Frobeses Zugriff auf die herzogliche Büchersammlung in Wolfenbüttel nachzuvollziehen. Mechthild Raabe verdankt sich die Auswertung der Ausleihbücher, die die Wolfenbütteler Bibliothek seit 1664 bis mindestens 1806 kontinuierlich geführt hat. Im Vergleich mit anderen Zeitgenossen war Frobese kein häufiger Gast in der Bibliotheca Augusta. Allerdings lebte und arbeitete er auch nicht vor Ort, und die nötige Lektüre, die er nicht privat besaß, mag er in der Helmstedter Universitätsbibliothek gefunden oder von Kollegen ausgeliehen haben. In ca. achteinhalb Jahren – seine erste Ausleihe in Wolfenbüttel beginnt fast 20 Jahre, nachdem er in Helmstedt sesshaft geworden war, Anfang September 1744, während seine letzte Ausleihe auf April 1753 datiert – sind sieben Bände auf seinen Namen verbucht. Es handelt sich um zwei lateinische Schriften von Giordano Bruno (die mystische Mnemotechnik Ars reminscendi und eine Ausgabe der Oratio valedictoria/Abschiedsrede), den 1. Band des Mundus mathematicus von Claude François Milliet Dechales, den 1. Band der Gedichtsammlung Mulus arcadius von Albert Clampius, eine Ausgabe mit Disputationen zum Zivilrecht sowie zwei Werke von Johann von Felden (Disputationen und eine Totenrede).[6]

Zum Ende mag eine Archivalie noch einen kleinen Einblick in den Alltag der Helmstedter Universitätspraxis geben. Frobeses Mathematikprofessur oblag auch die Aufsicht über die Universitätsgebäude. Damit war dem Stelleninhaber eine Zusatztätigkeit aufgegeben, die wahrscheinlich mit einem Zuverdienst verbunden war. Hartmut Beyer, der Rechenschaftsberichte von Helmstedter Professoren über ihre Vorlesungstätigkeit ausgewertet hat, zeigt, dass die Professoren an Zusatztätigkeiten interessiert waren, wenn sie im Dienst des Herzogs standen. Dann konnten sie sich auszahlen, wenn nicht in klingender Münze, so als Entschuldigungsgrund. Solce Extraeinsätze gingen nämlich oft zu Lasten der Lehre, sprich sie wurden mit Unterrichtsausfall, also der eigentlich besoldeten Verpflichtung der Professoren bezahlt. Von Frobese ist für das Jahr 1754 überliefert, dass er – möglicherweise im Rahmen der Gebäudeaufsicht – auch für den Brandschutz verantwortlich zeichnete: »Den Monat Oktober und die Hälfte des Novembers wandte ich für die Inspektion der Kamine in der Stadt auf, die einzeln und sorgfältiger als beim letzten Mal durchgeführt wurde, wie es der Erlauchteste Herzog angeordnet hat.« Damit wurde Frobese von Volesungen abgehalten. Ähnlich erging es Kollegen, die bspw. die Beherbergung befreundeter Kollegen als legitimen Grund für Unterrichtsausfall angeben, etwa der Jurist Georg Werner, den 1658 ein Kollege und Freund beim Frühstück aufgehalten haben will. Die Ausrede ist offensichtlich legitim und valide, weil die Pflege persönlicher Kontakte sowie die Wahrnehmung von Kontakten mit den Eliten des Herzogtums vom wissenschaftlichen Aufgabenfeld des Professors nicht zu trennen waren. Schließlich kommen abermals Bücher ins Spiel, wenn in den Rechenschaftsberichten auch die Rede von den regelmäßig stattfindenden Märkten ist, insbesondere den Auflösungen von Büchersammlungen, die für Unterrichtsausfall sorgen. 1658 nahm bspw. die Verauktionierung einer Gelehrtenbibliothek die gesamte zweite Novemberhälfte in Anspruch, während die Verkaufsaktion der Bibliothek des berühmten Irenikers Georg Calixt (1586–1656) im November 1701 in den Berichten gleich neunmal erwähnt wird und als Verhinderungsgrund herhalten muss. Die starke Präsenz von Bücherauktionen zeigt noch einmal deutlich, wie sehr die Literaturversorung vom privaten Buchbesitz der Professoren abhing.[7]


Anmerkungen:

[1] [Johann Nicolaus Frobese]: Programma in funere viri celeberrimi atque excellentissimi Joh. Gothofredi Lakemacheri Philos. D. Graecae nec non Oriental. Linguarum Professoris et Philosphicae Facultatis Decani meritissimi A. MDCXCV. D. XVII. Novembr. nati, A. MDCCXXXVI. D. XVI. Mart. denati. In Academia Julia, Helmstedt, 1736.

[2] Vgl. Johann Georg Meusel: Lexicon der vom Jahr 1750 bis 1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller, Bd. III, Leipzig 1804, S. 537; Asaph Ben-Tov: Hellenism in the context of Oriental Studies: The case of Johann Gottfried Lakemacher (1695–1736), in: International Journal of the Classical Tradition, Bd. 25/3 (Sept. 2018), S. 297-314, hier: S. 300, DOI: 10.1007/s12138-018-0472-z.

[3] Vgl. den Eintrag im Professorenkatalog der Universität Helmstedt; Sabine Ahrens: Die Lehrkräfte der Universität Helmstedt (1576–1810), Helmstedt 2004, S. 83–84; Petra Diestelmann: Frobes (auch Frobese, Frobesius), Johann Nikolaus, Prof., in: Braunschweigisches Biographisches Lexikon: 8. bis 18. Jahrhundert, hg. von Horst-Rüdiger Jarck, Dieter Lent u. a., Braunschweig 2006, S.240–241; Moritz Cantor: Frobes (genannt Frobesius), Johann Nikolaus, in: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Bd. 8, Leipzig 1878, S. 129–130; Heinrich Wilhelm Rotermund: Das gelehrte Hannover oder Lexikon von Schriftstellern und Schriftstellerinnen, gelehrten Geschäftsmännern und Künstlern die seit der Reformation in und außerhalb den sämtlichen zum jetzigen Königreich Hannover gehörigen Provinzen gelebt haben und noch leben, aus den glaubwürdigsten Schriftstellern [Anhang von auswärtig versorgten Hannoveranern], Bd. 2, Bremen 1823, S. XII–XIV; Die Matrikel der Universität Helmstedt, Bd. 3: 1685–1810, bearb. v. Herbert Mundhenke, Hildesheim 1979, S. 122 (http://diglib.hab.de/drucke/f4f-211-3b/start.htm?image=00144).

[4] Vgl. Diestelmann 2006.

[5] Bertram Lesser: Einleitung, in: Katalog der mittelalterlichen Helmstedter Handschriften, beschrieben von Helmar Härtel, Christian Heitzmann, Dieter Merzbacher und Bertram Lesser, Teil 1: Cod. Guelf. 1 bis 276 Helmst., hg. von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Wiesbaden 2012, S. XI–XCVIII, hier: S. XLV, inkl. Fußnoten 169 und 170. Johann Carl Conrad Oelrichs ist u.a. für seinen vielbeachteten Entwurf zu einer Geschichte der Königlichen Bibliothek Berlin bekannt.

[6] Mechthild Raabe: Leser und Lektüre vom 17. zum 19. Jahrhundert. Die Ausleihbücher der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1664–1806. In 8 Bänden. Teil B: Leser und Lektüre im 18. Jahrhundert. Die Ausleihbücher der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1714–1799, Bd. 1: Die Leser und ihre Lektüre – Lesegruppen und Lektüre, München 1989, S. 124.

[7] Vgl. Hartmut Beyer: Evaluationen in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, Bd. 10 (2016), S. 75–92, bes. S. 81–85.