Hermann von der Hardt

 

          Hermann von der Hardt, der als vierter Helmstedter Ansprechpartner im Vorwort des Auktionskatalogs genannt wird, war eine den exzentrischen Auftritt liebende, oft widersprüchliche Persönlichkeit.[1] 1660 in Melle bei Osnabrück geboren und 1746 in Helmstedt gestorben, wirkte er viele Jahre von 1690 bis 1727 am welfischen Universitätsleuchtturm in Helmstedt als Professor der orientalischen Sprachen. Mehrere Mal eckte der Langgediente mit provokanten Aussagen und Thesen zur biblischen Heilsgeschichte bei den Oberen an, weshalb er 1727 zwangsemeritiert wurde. Aber auch nach 1727 hielt er noch Vorlesungen, mindestens bis 1744. Im Vorwort des Katalogs als »Herr Magister« ausgewiesen, kaufte von der Hardt selbst 134 Titel für rund 48 Reichstaler aus Lakemachers Sammlung. Möglicherweise ist diese beträchtliche Anzahl neben der Titelrelevanz für sein thematisches Interesse zusätzlich durch die Bekanntschaft mit dem Verstorbenen motiviert, der sein Schüler war und mit dem ihn folglich mehr verband – dem er aber auch persönlich näher gestanden haben dürfte.

Nach Gymnasienbesuchen in Osnabrück, Herford, Coburg und Bielefeld studierte Hermann von der Hardt ab 1679 Philosophie in Jena. Frühzeitig konzentrierte er sich auf die orientalischen Sprachen. 1680 begab er sich bedingt durch die Pest nach Hamburg zu dem berühmten Talmudisten und Privatgelehrten Esdras Edzard (1629−1708). Bei Edzard wurden weitere, später ebenfalls berühmte Personen vorstellig, um ihre Hebräischkenntnisse zu vervollkommnen, darunter der Begründer des Hallischen Pietismus, August Hermann Francke (1663–1727). Wie lange von der Hardt in Hamburg blieb, ist nicht bekannt, fest steht, dass er 1683 in Jena die Magisterprüfung ablegte und zu dieser Zeit dort auch Privatvorlesungen über orientalische und altklassische Sprachen abhielt. 1686 wechselte er nach Leipzig, wo er A. H. Francke kennenlernte, mit ihm Freundschaft schloss, dessen »collegium philobiblicum« beitrat und von ihm beeinflusst Pietist wurde. In der Messestadt blieb von der Hardt indes nicht lange, sondern ging bald weiter nach Dresden, wo er ein Jahr bei dem berühmten Mitbegründer und Fürsprecher des Pietismus, Philipp Jakob Spener (1635–1705) Vorlesungen hörte und in dessen Umfeld Bibelstudien betrieb. Anschließend suchte er erneut die Nähe zu Francke, mit dem zusammen er 1687 zu dem Superintendenten und Experten für Bibelexegese, Caspar Hermann Sandhagen (1639−1697) nach Lüneburg reiste, um sich in Exegese zu schulen. Während sich für Francke in der kleinen Hansestadt die schwelende Verunsicherung seines Glaubens vertiefte, woraufhin ihm wenig später sein berühmtes Erweckungserlebnis widerfuhr, ging von der Hardt aus dem Treffen mit Sandhagen religiös >unbeschadet< hervor. Und Sandhagens Kontakten verdankte sich 1688 auch die Einladung von Herzog Rudolf August von Braunschweig-Lüneburg (1627–1704), in seine Dienste als Bibliothekar der Universitätsbibliothek in Helmstedt und Geheimsekretär zu treten. Nachdem 1690 Bemühungen, in Kiel eine Professur für Theologie zu übernehmen, fehlschlugen, wurde von der Hardt an der welfischen Landesuniversität eine Professur für orientalische Sprachen angeboten. Das Erscheinen seiner unorthodoxen, gar nicht übertrieben pietistischen, sondern historisch-kritischen, zudem eine mythopoetische Perspektive berücksichtigenden Abhandlung über Jesaja 11 im Jahr 1695 löste einen ersten Protest bei den Kollegen und Landesoberen aus, die ihm daraufhin untersagten, exegetische Vorlesungen zu halten. 1699 wurde von der Hardt durch Rudolf August Propst des Klosters Marienberg in Helmstedt, ab 1700 war er auch für die Verwaltung der Helmstedter Universitätsbibliothek zuständig. Aufgrund anhaltender Äußerungen zum Unbehagen der Oberen wurde von der Hardt 1727 schließlich seiner akademischen Ämter enthoben. In der Stiftskirche des Klosters St. Marienberg in Helmstedt befindet sich die Grablege des widerspenstigen Professors und Gelehrten mit einem Epitaph.

Seit 1688 also war Hermann von der Hardt für Herzog Rudolf August von Braunschweig-Lüneburg tätig. Über das Dienstverhältnis hinaus bestand zwischen den beiden Männern auch eine enge Freundschaft, wobei sie besonders die Neigung zum Pietismus Speners und Franckes verband. In der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel hat sich ein Teil der Korrespondenz zwischen beiden erhalten, der 1135 Briefe umfasst.[2] Von der Hardt hatte - wie auch schon erwähnt - neben der Professur für orientalische  Sprachen u. a. das Amt des Universitätsbibliothekars in Helmstedt inne. Wenn der nicht-orthodoxer Bibelausleger bereits 1695 Aufsehen erregte und für negative Schlagzeilen sorgte, so blieb er fortan dem Ruf als Exzentriker treu. Dieter Merzbacher zufolge, der die entsprechenden Quellen ausgewertet hat, hinterließ er einen entsprechenden Eindruck zum Beispiel bei einem Einsatz als Bibliotheksvorsteher. So führten den Frankfurter Ratsherrn und berühmten Büchersammler, Zacharias Conrad von Uffenbach (1683–1734) ab 1705 mehrere Reisen nach Norddeutschland, Holland und England. Bei seinem Besuch der welfischen Universitätsstadt ab dem 11. November 1707 ließ er sich vom Leiter der Bibliotheca Rudolphea selbige zeigen. Dabei, so darf gemutmaßt werden, erlebte er von der Hardt als ungewöhnlichen Cicerone, wenn er diesen in seinen Memoiren Merkwürdige Reisen durch Niedersachsen, Holland und Engelland (Teil 1, Ulm u.a. 1753) als reichlich skurrilen Gelehrten erinnerte.[3] Blieben diese unorthodoxen Eigenarten von der Hardts zu Rudolf Augusts Zeiten noch halbwegs unsanktioniert, verschlechterte sich nach dessen Tod im Januar 1704 von der Hardts Position indes erheblich. Martin Mulsow, der von der Hardt als „spätbarocken Radikalaufklärer“[4] charakterisiert, unterstreicht, wie thesenstark von der Hardt war, aber auch wie streitbar und fragwürdig. U.a. behauptete von der Hardt im Vorwort zur Arabischen Grammatik seines ehemaligen Schülers und Professurnachfolgers Lakemacher, daß das Arabische aus dem Griechischen hervorgegangen sei.[5] Von der Hardt scherte sich wenig um theologische Axiome und um die Gefahr, sich mit ihrer Infragestellung auf vermintes Gelände zu begeben. Für den vor allem nach dem Tod seines Freundes und Protektors, Herzog Rudolf August, Gemaßregelten enthält die Bibel nicht wie orthodox anerkannt typologische Prolepsen, sprich Vorgriffe auf Christus, sondern verschlüsselte Reste politischer Geschichte. Von der Hardt hat die Tendenz zum Häretiker, er betätigt sich als Kryptographiker und Mythopoietiker. So ist es kein Wunder, wie Martin Mulsow resümiert, dass man von der Hardt als alten Mann nicht nur kaltstellte, sondern ihm auch das Publizieren zumindest seiner theologischen Werke untersagte.[6] Es war Glück, dass man ihn nicht ganz aus Helmstedt vertrieb.

 

Was die 134 Titel anbelangt, die von der Hardt bei der Lakemacher-Auktion erwarb, so handelte es sich bei ihnen zum allergrößten Teil um Dissertationen, die im Auktionskatalog eigens ausgewiesen waren: insgesamt 62 an der Zahl, thematisch größtenteils aus dem Bereich jüdischer Altertümer und damit zusammenhängend der philologia sacra. Diesem Sachgebiet gehören auch die Titel aus der Kategorie "Libri Rabbinici, Et Ad Philologiam Sacram, Et Antiquitates Iudaicas Pertinentes" an, die im Auktionskatalog weiter nach Formaten aufgegliedert sind. Von der Hardt kaufte, ohne Berücksichtigung der Formatunterschiede, insgesamt 32 Titel dieser Gruppe, darunter auch mehrere auf Hebräisch sowie fünf Bände mit seinen eigenen Werken. Warum er gerade letztere kaufte, ist nicht klar.

Neben den Sachgruppen "Dissertationes" und "Libri Rabbinici" war der Auktionskatalog in zeitüblicher Weise nach Formatgruppen sortiert. Von der Hardt erwarb in der Mehrzahl Bücher in Oktav (17), sodann in Folio und Quart (je 8) und schließlich in Duodecimo (3). Eine Sonderkategorie bildeten ungebundene und zunächst bei der Katalogerstellung vergessene Bücher ("Miscellanea Et Incompacta Cum Libris Omissis"), von denen von der Hardt vier erwarb. Thematisch umfassten die Titel der genannten Formatgruppen wieder vor allem Hebraistik und philologia sacra, deckten daneben aber auch ein breites Spektrum ab, das von der Klassischen Philologie (v. a. Gräzistik) und Alten Geschichte, über die historia litteraria (v. a. Briefausgaben berühmter Gelehrter) und Philosophie bis hin zur Geographie und Reiseliteratur reichte. Unter den Foliobänden befand sich wieder eines seiner eigenen Werke: die Ænigmata Prisci Orbis (1723; im Katalog nach dem Untertitel "Jonas in luce" aufgeführt). Insgesamt dürften die Bücher Lakemachers für von der Hardts eigene Bibliothek eine willkommene Ergänzung gewesen sein,[7] wiewohl es auch eine Rolle gespielt haben mag, dass der Verkaufserlös der Witwe Lakemachers zu Gute kam. Die Auktion bot damit eine letzte Gelegenheit, dem einstigen Schüler und seiner Familie Hilfe und Unterstützung zuteil werden zu lassen.


Anmerkungen:

[1] Grundsätzlich zu von der Hardts Biographie vgl. Sabine Ahrens: Die Lehrkräfte der Universität Helmstedt (1576–1810). Helmstedt 2004, S. 102f.; Jochen Bepler: Hardt, Hermann von der, in: Braunschweigisches Biographisches Lexikon: 8. bis 18. Jahrhundert, hg. von Horst-Rüdiger Jarck, Dieter Lent u. a., Braunschweig 2006, S. 299f.; Otto von Heinemann: van der Hardt, Hermann. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB), Bd. 10, Leipzig 1879, S. 595f.; Martin Mulzer: Hardt, Hermann von der, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), hg. von Michaela Bauks, Klaus Koenen und Stefan Alkier, Stuttgart 2006 (o.S., 9 Seiten PDF, inkl. Literaturverzeichnis).

[2] Vgl. Hartmut Beyer: Zerlegt im Dienst der Historie. Die sogenannte Sammlung Hardt in der Herzog August Bibliothek, in: Luthermania. Ansichten einer Kultfigur [Ausst.kat.] (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 99), hg. von Hole Rößler, Wolfenbüttel 2017, S. 299–305, bes. S. 301; Dieter Merzbacher: Herzog Rudolf August zu Braunschweig-Lüneburg und das Wolfenbütteler Pietisten-Edikt, in: Wirkungen des Pietismus im Fürstentum Wolfenbüttel. Studien und Quellen (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 53), hg. von Dieter Merzbacher und Wolfgang Miersemann, Wiesbaden 2015, S. 155-223, bes. S. 182–189.

[3] Vgl. Merzbacher 2015.

[4] Martin Mulsow: Der Silen von Helmstedt, in: Die Sachen der Aufklärung. Beiträge zur DGEJ Jahrestagung 2010 in Halle a. d. Saale (Studien zum 18. Jahrhundert 34), hg. von Frauke Berndt und Daniel Fulda, Hamburg 2012, S. 300–313, S. 312.

[5] Vgl. Asaph Ben-Tov: Hellenism in the context of Oriental Studies: The case of Johann Gottfried Lakemacher (1695–1736), in: International Journal of the Classical Tradition, Bd. 25/3 (Sept. 2018), S. 297-314, bes. S. 305ff. DOI: 10.1007/s12138-018-0472-z.

[6] Vgl. Martin Mulsow: Politische Bukolik. Hermann von der Hardts Geheimbotschaften, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft VII/4, Winter 2013, S. 103–116, bes. S. 104, 115f.; Ders.: Religionsgeschichte in Helmstedt, in: Das Athen der Welfen. Die Reformuniversität Helmstedt 1576–1810, hg. von Jens Bruning und Ulrike Gleixner, Wolfenbüttel 2010, S. 182-189.

[7] Hermann von der Hardts eigene Professorenbibliothek wurde nach seinem Tod von seinem Neffen Anton Julius übernommen und 1786 versteigert, wobei sie von verschiedenen Bibliotheken erworben wurden. Die umfangreiche Sammlung an Lutherschriften (1500 Titel) befindet sich heute in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel; vgl. Catalogus Bibliothecae D. Antonii Iulii Von der Hardt Abbatis Michaelsteinensis, Theologiae Et LL. OO. Professoris, Helmstedt 1786 (http://diglib.hab.de/drucke/q-40a-8f-helmst/start.htm); zu Anton Julius von der Hardt, vgl. S. Ahrens 2004, S. 101–102.