Zur Person: Johann Gottfried Lakemacher

 

Lakemachers Wirkungsstätte: die Universität Helmstedt               Lakemacher, zu dem sich leider keine Porträtgraphik erhalten hat, wurde am 17. November 1695 in Osterwieck (Fürstentum Halberstadt) geboren.[1] Er stammte aus einfachen, aber nicht mittellosen Verhältnissen. Frühzeitig zeigte er Interesse für Griechisch und Hebräisch. Mit 19 Jahren nahm er das Studium an der Julius-Universität in Helmstedt auf, wo er Unterricht in Theologie nahm, bei dem berühmten Hermann von der Hardt seine Kenntnisse in den sogenannten orientalischen Sprachen vertiefte (Arabisch und Hebräisch) und Lehrveranstaltungen in Mathematik belegte. 1715 wechselte Lakemacher nach Halle an der Saale, um bei Joachim Justus Breithaupt Vorlesungen in Theologie und bei Christian Wolff zur Weltweisheit, in Mathematik und Philosophie zu hören. Zugleich nahm er Unterricht bei dem Syrer Salomon Negri (1665–1727), einem Damaszener Christen, der in Mittel- und Westeuropa in wechselnden professionellen Kontexten tätig war und u.a. seine Dienste als Sprach- und Kulturvermittler für Arabisch und Syrisch anbot, und zwar privat wie auch institutionell eingebunden.[2]

1718 wurde Lakemacher in Helmstedt promoviert und verblieb anschließend sechs Jahre als Adjunkt in Wartestellung auf eine Professur. Er verließ Helmstedt zwischenzeitlich aber mehrmals, so 1719, als er erneut nach Halle ging, um für ein halbes Jahr unter Anleitung des an der Friedrichs-Universität tätigen Aleppiner Christen Carolus Rali Dadichi (ca. 1693–1734) seine Arabischkenntnisse zu verfeinern. Wie Negri lässt sich Dadichi als kultureller Vermittler (cultural broker) zwischen Ost und West charakterisieren. Die beiden arabischen Christen wurden in ihrer Heimat und im katholischen Europa von Jesuiten ausgebildet und sollten anschließend mit missionarischem Auftrag in ihre Gemeinden zurückkehren, was sie nicht oder nur zum Teil taten. Dadichi lief in Europa zum Teil die gleichen Stationen wie Negri an und verdiente mit den gleichen Tätigkeiten wie dieser seinen Unterhalt (übersetzen, dolmetschen, Sprachunterricht, Beschreibung, Katalogisierung und Vervielfältigung von Manuskripten in den europäischen Sammlungen orientalischer Handschriften).[3]

Im August 1724 ernannte die Universität Helmstedt Lakemacher zum Professor für griechische Sprache, drei Jahre später, ab November 1727, übernahm er auch die Professur für orientalische Sprachen. Am 16. März 1736 starb er im 41. Lebensjahr. Ein erster Nachruf, der Ende April in den Niedersächsischen Nachrichten von gelehrten neuen Sachen erschien, würdigt auf zwei Seiten grobkörnig seine Person und Lebensleistung als Gräzist und Orientalist, als Professor und Autor zahlreicher Bücher und Schriften.[4] In einem zweiten Nachruf im selben Journal ein halbes Jahr später, in dem auf die bald stattfindende Auktion der Professorenbibliothek des Verstorbenen hingewiesen wird, kommt explizit zum Ausdruck, dass Lakemacher „als ein Philologus vieles lesen musste. Er that solches wircklich, nicht aber in der Absicht, aus neun und neunzig Büchern das hundertste zusammen zu stoppeln und sich, der von Tage zu Tage je mehr einreissenden Gewohnheit der Halbgelehrten nach, mit anderen Federn breit zu machen. Sein Bemühen gieng vielmehr nur dahin, neue und zugleich nützliche Wahrheiten zu entdecken.“[5] Schließlich verlautet im Juli desselben Jahres in den Franckfurtischen Gelehrten Zeitungen ebenfalls Nachruflob, indem die offizielle Bekanntmachung des Ablebens Lakemachers durch die Helmstedter Universität zitiert wird. Mit Lakemacher sei der gelehrten Welt ein Mann „entrissen von erhabnen Verstand, weitläufftige, und gründliche Gelehrsamkeit, unermüdeten Fleiß  [...] und wundersame Klugheit [...] dessen Todt diejenigen, nicht ohne Thränen bedencken können, welche Weisheit, und Tugend nur etwas zu schätzen wissen.“  Lakemacher habe es verstanden, seine Lehre so einzurichten, „dass er die verdrießliche und truckene Sätze mit angenehmen, und wichtigen Wahrheiten gar artig zu verbinden pfleg[te], so dass der unfehlabre Nutzen davon im gemeinen Leben jedermann alsobald einleuchten musste.“[6]

Anders fällt die Einschätzung im Personeneintrag in der Allgemeinen Deutschen Biographie 150 Jahre später aus. Der Verfasser C. Siegfried erkennt zwar an, dass Lakemacher „eine für seine Zeit ausgebreitete Gelehrsamkeit und Belesenheit besonders auch in den klassischen Schriftstellern [besessen habe], auf deren Nutzen für die Erklärung des Alten Testaments er auch einmal in einer akademischen Rede hinwies“. Aber er moniert „neben den eben gerühmten Vorzügen auch einen großen Mangel an Kritik und Methode, durch welchen jene Gelehrsamkeit sehr oft zu einer unfruchtbaren wird und jenen Ballast vergrößert, mit welchem noch heutzutage die Commentare bei der Darlegung der verschiedenen Auslegungsversuche vollgestopft zu werden pflegen.“[7] Deutlich wird immerhin, dass die Frage nach dem Zweck von Gelehrsamkeit ein Dauerthema zu sein scheint. Auch Akademiker in der Frühen Neuzeit müssen sich nicht nur Gedanken machen, wie sie Hörer und Studenten an sich binden, sondern sie sind auch der Nachfrage nach dem Warum und Wofür ihrer Studien ausgesetzt. Wie auch immer das kritische Urteil über die professorale Leistung und den gelehrten Status Lakemachers ausfällt, vier Honoratioren aus der Helmstedter Akademikerprominenz erklärten sich jedenfalls bereit, die Auktion der privaten Bibliothek ihres Kollegen Lakemacher, die im Winter 1737 unter den Hammer kam, zu betreuen.[8] Ob sie diese Aufgabe auf Geheiß der Universität oder auf Wunsch der Witwe Lakemachers hin übernahmen, ob es Brauch an der Universität Helmstedt war, dass Professoren beim Ableben eines Kollegen zu dessen Beerdigung gingen, eine Leichenpredigt bzw. Nachrufe verfassten und ggf. die Hinterbliebenen unterstützten, oder ob die vier Herren persönlich mit Lakemacher befreundet waren (bei Hermann von der Hardt könnte dies der Fall gewesen sein), muss offen bleiben.

Asaph Ben-Tov hat die orientalischen Studien im deutschsprachigen Raum als Feld frühneuzeitlicher intellektueller Tätigkeit anhand einer Reihe von Fallstudien untersucht. Im Zusammenhang mit der Erforschung der Orientalistik als universitärer Disziplin ist er auch auf Johann Gottfried Lakemacher gestoßen.[9] Ben-Tov, aber auch anderen,[10] verdankt sich die Aufmerksamkeit für die spannende Frage, mit welcher kultur- und sprachhistorischen, mehr noch ideologischen Einstellung Arabisten und Orientalisten wie Lakemacher ihrem Lehrfach der Orientalistik gegenüberstanden. Was Lakemacher anbetrifft, so ist davon auszugehen, dass er seine orientalische Kompetenz vorrangig dem Spracherwerb, der Übersetzungsarbeit und der Kommentierung biblisch relevanter Stellen widmete. Die Diskussion brisanter theologischer Aspekte vermied er. Der Grund dafür dürfte gewesen sein, dass sich Lakemacher des aufgeladenen Disputs um den Stellenwert des Arabischen und der studia orientalia in der Gesellschaft und im universitätspolitischen Kontext bewusst war. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts ging es im christlich geprägten Westeuropa maßgeblich um die (Karrieren entscheidende) Frage: Handelt es sich beim Arabischen (dem Hebräischen, den weiteren semitischen Sprachen, auch dem Persischen) um eine eigenständige Sprache? Wenn ja, handelt es sich mithin um eine genuine Kulturleistung? Müssen die studia orientalia dann nicht auch als eigenständige Disziplin anerkannt werden? Oder sind sie, wie die Vertreter der Lutherischen Orthodoxie meinten, nicht doch nur Hilfsmittel zur Interpretation der Heiligen Schrift und Beweis für die historische Wirklichkeit der Bibeloffenbarung? Lakemacher, wie gesagt, konzentrierte sich auf die historisch-philologische Übersetzungsarbeit und suchte sich damit ein unverdächtiges Betätigungsfeld. Aus der mit Fallstricken versehenen theologischen Debatte hielt er sich raus.

Abbildung oben: Lakemachers Wirkungsstätte: die Universität Helmstedt. Stich von Mathäus Merian d. Ä., aus: Martin Zeiler: Topographia und Eigentliche Beschreibung Der Vornembsten Stäte, Schlösser auch anderer Plätze und Örter in denen Hertzogthümer[n] Braunschweig und Lüneburg, und denen dazu gehörende[n] Grafschafften Herrschafften und Landen, Frankfurt a M. 1654, zwischen S. 114 und 115. (verwendetes Exemplar: HAB Wolfenbüttel, A: 6.11.1 Geogr. 2°).


Anmerkungen

[1] Lakemacher ist im Professorenkatalog der Universität Helmstedt, im Gelehrtenlexikon von Gabriel Wilhelm Götten (Das Jetzt-lebende gelehrte Europa, 2. Aufl., Braunschweig 1735, S. 671) und in der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB) verzeichnet. Ausführlichere Auskunft zu seiner Person und Vita von Zeitgenossen steht in Nachrufen und in der oratio funebris (Leichenrede) des Helmstedter Professorenkollegen Johann Nicolaus Frobesius (1701–1756). Schließlich wird Lakemacher in der jüngeren Forschung zur Universitätsgeschichte und insb. zur Orientalistik im deutschsprachigen Raum und in Europa wahrgenommen.

[2] Vgl. Paula Manstetten: Kultureller Vermittler, homme des lettres, Vagabund? Zur Selbstdarstellung arabischer Christen in Europa am Beispiel Salomon Negris (1665–1727), in: Übersetzen in der Frühen Neuzeit. Konzepte und Methoden, hg. von Regina Toepfer, Peter Burschel und Jörg Wesche (Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit, 1), Berlin 2021, S. 427–452.

[3] Vgl. ebd.

[4] Niedersächsische Nachrichten von gelehrten neuen Sachen, Nr. 33 (26. April 1736), S. 282–285.

[5] Niedersächsische Nachrichten von gelehrten neuen Sachen, Nr. 90 (15. Nov. 1736), S. 755–757.

[6] Franckfurtische Gelehrte Zeitungen, Bd. 1/1 (2. Juli 1736), S. 2–3.

[7] C. Siegfried: Lakemacher, Johann Gottfried, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 17 (1883), S. 528-529 [Online].

[8] Vgl. die Praefatio des Auktionskatalogs.

[9] Asaph Ben-Tov: The academic study of Arabic in seventeenth- and early eighteenth-century protestant Germany: A preliminary sketch, in: History of universities, vol. 28/2 (2015), S. 93–135; Ders.: Hellenism in the context of Oriental Studies: The case of Johann Gottfried Lakemacher (1695–1736), in: International Journal of the Classical Tradition, Bd. 25/3 (Sept. 2018), S. 297-314. DOI:10.1007/s12138-018-0472-z.

[10] Vgl. z. B. Ulrich Groetsch: Digging without dirt. Adriaan Reland’s explorations of the Holy Land, in: The Orient in Utrecht. Adriaan Reland (1676–1718), Arabist, cartographer, antiquarian and scholar of comparative religion, ed. by Bart Jaski, Christian Lange, Anna Pytlowany and Henk J. van Rinsum (The History of Oriental Studies, 10), Leiden/Boston 2021, S. 173–218.