Was lineare Algebra und Sammlungen gemeinsam haben

Was haben Kulturerbesammlungen und lineare Algebra gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Auf den zweiten Blick lässt sich jedoch mit Hilfe von Metaphern und Analogien aus dem Teilgebiet der Mathematik der komplexe und oft schwer zu definierende Begriff 'Sammlung' etwas greifbarer machen.

Sowohl die Arbeit mit Sammlungen als auch die lineare Algebra haben das Lösen von Gleichungen mit mehreren Unbekannten und Variablen zum Gegenstand. Sammlungen sind Produkte verschiedener Akteure (Sammler*innen, Institutionen, Künstler*innen, Autor*innen, etc.). Sie wurden und werden durch historische wie aktuelle Prozesse und Ereignisse geformt. Je nach Nutzungszusammenhang können Sammlungen und ihre Inhalte in den unterschiedlichsten Kontexten wie in wissenschaftlicher Forschung oder in Ausstellungen auftauchen. Ähnlich dem Lösen von Gleichungen in der linearen Algebra ist die Beschäftigung mit Sammlungen daher oft auch eine Beschäftigung mit zahlreichen Unbekannten, Leerstellen und Fragezeichen.

Wie also lassen sich solche 'Sammlungsgleichungen' lösen? In der Mathematik bedient man sich verschiedener arithmetischer Operationen, um die Gleichungen umzustellen und zu transformieren. Sie werden sozusagen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Für Sammlungen können unterschiedliche interaktive Visualisierungen diese Perspektivwechsel unterstützen. Strukturen und Prozesse werden somit nicht sprachlich in Texten beschrieben oder in  Suchergebnis- und Inventarlisten versteckt, sondern explizit sichtbar gemacht. Als Ergebnis steht zwar nicht wie in der Mathematik die eine richtige Lösung (dafür sind Sammlungen zu komplex und vielschichtig), sondern verschiedene mögliche Lösungen und Blickwinkel. Diese ermöglichen es Sammlungen immer wieder neu und flexibel zu kontextualisieren.

Der Virtuelle Sammlungsraum versteht sich dabei als eine Werkstatt, in der verschiedene Möglichkeiten der visuellen Exploration von Sammlungen zusammengeführt und mit bekannten und etablierten Zugängen über Sucheingaben und Filter verbunden werden. Sammlungen können somit nicht nur als reine theoretische 'Behälter' von Objekten, Büchern, etc. betrachtet werden, sondern ebenso in ihrer ganzen Komplexität und ihren Geschichten visuell und interaktiv neu erfahren werden.

Vom Sammlungserschließenden Katalog zum Virtuellen Sammlungsraum

Der Begriff des Katalogs ist ein zentraler Aspekt des Virtuellen Sammlungsraumes. Das Projekt startete unter dem Titel Sammlungserschließender Katalog. Vor diesem Hintergrund ist es interessant sich zu vergegenwärtigen, wie sich Kataloge zu digitalen Sammlungen in verschiedene Kategorien einteilen lassen. Dabei ist diese Einteilung nicht in Form eine Hierarchie von besser oder schlechter zu verstehen. Jede Form von Katalogen hat ihre Vor- und Nachteile in der Benutzung und seinen berechtigten Platz in der Präsentation digitaler Sammlungen. Stattdessen soll eher für ein flexibles Angebot argumentiert werden, welches es Nutzer*innen ermöglicht, Interessen- und Anforderungsgeleitet zwischen den verschiedenen Formen von Katalogen und Präsentationsmöglichkeiten digitaler Sammlungen zu wechseln. Entsprechend lassen digitale Kataloge dabei in drei Kategorien unterteilen:

Der einfache Katalog

Dies ist die Grundform des Katalogs, welcher Sammlungen und Bestände digital zugänglich macht. Die Objekte (der Einfachheit halber sollen unter diesem Begriff heterogene Gattungen wie Kunstwerke, Bücher, digitale Medien, etc. zusammengefasst werden) sind in der Regel in Datenbanken erschlossen. Beziehungen zwischen den Objekten (gleiche Autoren, Entstehungsorte, etc.) sind implizit in der Datenbank erfasst, idealerweise unter der Verwendung von Normdaten. Den Nutzer*innen werden die Objekte als Ergebnislisten präsentiert, welche sortiert und über Filter (Personen, Orte, etc.) weiter eingegrenzt werden können. Links in den Einzeldatensätzen ermöglichen das Navigieren zum Beispiel zu weiteren Objekten des gleichen Autors. Auch hier sind die Beziehungen nur implizit angelegt und nicht in ihrer verbindenden Struktur sichtbar. Es ist ein Springen von einer Dateninsel zur nächsten. Im Moment des Klicks gerät der Ausgangspunkt aus dem Blick und eine neue Liste bzw. eine neue Einzelansicht öffnet sich.

Auf dem Weg zum Sammlungserschließenden Katalog

Während ein einfacher Katalog nur Objekte mit impliziten Beziehungen zueinander abbildet, kommt in der nächsten Form des digitalen Katalogs die Sammlung als weiteres verbindendes Element hinzu. Dies eröffnet weitere Möglichkeiten Objekte zu ordnen und zu gruppieren, nämlich nach ihrer Zugehörigkeit zu verschiedenen Sammlungen. Mit Hilfe der Sammlung lassen sich nun auch Objekte zusammenführen, die vorher nicht miteinander verbunden werden konnten (weil keine Beziehungen durch gleiche Autoren, Orte, Schlagworte möglich waren). Wie kann ein offenes Datenmodell aussehen, das einen sammlungserschließenden Katalog in diesem Sinne repräsentiert? Innerhalb des Projektes wurde zu diesem Zweck vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus den durchgeführten Fallstudien zur Sammlungsforschung ein generisches, CIDOC-CRM-basiertes Datenmodell entwickelt, das Objekte nicht nur in virtuellen Forschungssammlungen gruppiert, sondern auch deren gegenseitigen Beziehungen abbilden kann.

 

Ein Virtueller Sammlungsraum?

Die Aspekte, an welchen das Konzept des Virtuellen Sammlungsraumes ansetzen möchte, sind die nur implizit erfassten Verbindungen zwischen den Objekten sowie die fehlenden Möglichkeiten Strukturen und Prozesse rund um Sammlungen und Bestände sichtbar und erfahrbar zu machen. Sammlungen umfassen nicht nur Objekte und weitere Informationsressourcen, sondern ebenso Wissen, welches über die Jahre durch die erschließenden Mitarbeiter*innen, Nutzer*innen und Forscher*innen zusammengetragen wurde. Genau dieses Wissen möchte der Virtuelle Sammlungsraum explizit versuchen zu vermitteln. Der in diesem Projekt vorgeschlagene Weg führt über die Integration von interaktiven Visualisierungen mit den bekannten und etablierten Kataloginterfaces, die bereits die oben beschriebenen Formen digitaler Kataloge prägen. In diesem Sinne werden diese Kataloge auch nicht durch einen Virtuellen Sammlungsraum abgelöst sondern um eine weitere Komponente ergänzt, welche in der Nutzung aber ebenso in der Erschließung der Sammlungen neue Perspektiven und Einblicke möglich machen kann.

Das Ziel ist dabei ein modulares System aus Katalog und Visualisierungen, welches für verschiedene Sammlungen und Erschließungstiefen anpassbar ist. Auf diesem Weg soll gezeigt werden, wie Kataloge durch Visualisierungen gezielt erweitert werden können, um die Beziehungen zwischen den Objekten sichtbar werden zu lassen und Sammlungen nicht als abgeschlossene Konstrukte sondern eher als Prozesse begreifbar zu machen.