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In der Autor:innenbibliothek von Kurt Pinthus, die aktuell im Rahmen der MWW Fallstudie »Transatlantischer Bücherverkehr« erschlossen wird, befinden sich über 547 bereits erfasste Widmungsexemplare, deren Inschriften sich über einen Zeitraum von über fünfundsechzig Jahren (1905–1970) erstrecken. Neben den Informationen, die uns die einzelnen Widmungen über ihre jeweiligen Verfasser:innen und Empfänger:innen verraten, ergibt sich darüber hinaus noch ein bisher unbekanntes Gesamtbild der publizistischen Kontakte Pinthus‘ vor, während und nach seiner Zeit im amerikanischen Exil.

Der 1886 in Erfurt geborene Literaturwissenschaftler, -kritiker, Publizist und Herausgeber Kurt Pinthus machte sich bereits während seines Studiums der Literaturgeschichte, Philosophie und Geschichte, für das er 1906 in die Buch- und Verlagsstadt Leipzig gezogen war, mit ersten journalistischen Tätigkeiten und Vorträgen zu Literatur, Film und Theater einen Namen. Wie die zahlreichen Widmungsexemplare in seiner Bibliothek aus jener Zeit belegen baute er in dieser Zeit zahlreiche Kontakte in der deutschsprachigen Literatur- und Theaterszene auf. Beispielsweise befinden sich darunter gleich sechs Widmungen des österreichischen Dramaturgen Carl Hauptmann, sowie des Berliner Dramaturgen Julius Bab und der Schauspielerin Eva Martersteig. Pinthus‘ Einsatz als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg im Juni 1915 währte nur kurz. Nach Ende des Krieges zog er im Sommer 1919 zog er nach Berlin, wo er eine Stelle bei Rowohlt antrat, dem Verlag, bei dem im gleichen Jahr die von ihm herausgegebene Anthologie expressionistischer Lyrik Menschheitsdämmerung. Die beteiligten Autor:innen sind ebenfalls mit zahlreichen Widmungen (Johannes R. Becher, Gottfried Benn, Theodor Däubler, Yvan Goll, Walter Hasenclever, Wilhelm Klemm, Else Lasker-Schüler, Rudolf Leonhard, Karl Otten, René Schickele, Franz Werfel, Alfred Wolfenstein, Paul Zech) in der Bibliothek vertreten. Zwischen 1922 und 1934 arbeitete Pinthus als Literatur- und Filmkritiker für das 8-Uhr-Abendblatt in Berlin.

Nebenbei hielt er regelmäßig Vorträge und verfasste Beiträge zu Theater und Film für namhafte Zeitungen und Zeitschriften; Tätigkeiten, die durch seine jüdische Herkunft nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zunehmend erschwert wurden. Eine Zeit lang konnte Pinthus sich noch dank des Einsatzes früherer Bekannte aus seiner expressionistischen Studentenzeit wie dem in NS-Kreisen einflussreichen Schriftsteller und späteren Präsidenten der Reichschrifttumskammer Hanns Johst gegen die berufliche Verfolgung wehren. Johst, von dem sich eine Widmung aus dem Jahr 1914 in Pinthus Bibliothek befindet, erreichte im Frühjahr 1933, dass Pinthus‘ Name noch von der Liste verbotenen Schrifttums gestrichen wurde. 1936 wurde jedoch schließlich ein Publikations- und Redeverbot gegen Pinthus verhängt.

Im August 1937 unternahm Pinthus eine als Studienreise getarnte Fahrt nach New York, um sich dort nach einer beruflichen Perspektive und einem geeigneten Unterbringungsort für seine inzwischen immerhin 8.000 Bände umfassende Privatbibliothek umzusehen. Im Dezember 1937 kehrte er noch einmal für einige Zeit nach Berlin zurück, wo er sich jedoch die meiste Zeit versteckt halten musste. Im Mai 1938 erfolgte schließlich die Auswanderung in die USA. Wie genau Pinthus seine Bibliothek nach New York überführen konnte – ob abermals mit der Hilfe Johsts, wie es einige Johstbiografen nahe gelegt haben – ist bis heute ungeklärt. In den USA war Pinthus zunächst als Lecturer an der New York School for Social Research tätig; später agierte er als Berater für die Theatersammlungen der Library of Congress und als Visiting Professor an der American University in Washington D.C. Nachdem er durch die Aberkennung seiner deutschen Staatsbürgerschaft im November 1941 staatenlos geworden war, erwarb er zwei Jahre später die amerikanische Staatsbürgerschaft. Obwohl ihn in den späten 30er und 40er Jahren weiterhin Zuschriften und gelegentlich Widmungsexemplare aus Europa (zum Beispiel von Alfred Kerr aus London) erreichten, zeugen doch die zahlreichen Widmungen vor allem von Exilant:innen, die ebenfalls aus Europa in die USA geflohen waren – unter anderem finden sich aus dieser Zeit Widmungen von Ivan Heilbut, Franz Hoellering, Leo Lania, Thomas Mann und Fritz von Unruh – von dem weitreichenden Einfluss und dem Netzwerk, das Pinthus in den Exiljahren aufrechterhalten vermochte.