»Pinthus, mein lieber Pinthus« : Freunde und Weggefährten des Expressionismus

»Schon einen Tag nach unserer ersten Begegnung hatte mir Hasenclever sein allererstes Stück [Nirwana] mit einer feierlichen Widmung überreicht«[1], erinnerte Kurt Pinthus sich an das erste Zusammentreffen in Leipzig mit dem fast gleichaltrigen Walter Hasenclever. »Er hatte es auf eigene Kosten drucken lassen von einem Pokergewinn während seines ersten Semesters in Oxford.« Die Widmung an den »sehr verehrten Freunde« zeugt von der Herzlichkeit und Leichtigkeit, die sich zwischen den beiden Studenten rasch entwickelte. Gemeinsam erlebten sie die »schönsten und unruhigsten Jahres unseres Lebens« schweiften durch Leipziger Tanzlokale und Cafés, Hörsäle und Konzerte, verbrachten gemeinsame Tage am Gardasee in Italien oder an der Ostsee. Auch wenn die beiden Männer die literarischen Werke des Anderen bewunderten; gesprochen wurde darüber wenig. »Wahrscheinlich hat es niemals eine literarische Freundschaft gegeben, in der innerhalb von 30 Jahren so wenig wie zwischen uns, über Literatur gesprochen wurde, am allerwenigstens über unsere eigenen Arbeiten«, beschreibt Pinthus die Beziehung in seinem Nachruf auf Hasenclever. Auch die Widmungsexemplare von Hasenclevers Werken, die in den 1910er Jahren in rascher Folge erschienen, zeugen in erster Linie von einem herzlichen, humorvollen, gar neckischen Umgang miteinander. »Lieber Pinthus! Möge dies Buch einmal eine große Seltenheit werden und mit 110 Mark bezahlt werden!«, notierte Hasenclevers im März 1910 in seinem Gruß im soeben erschienenen Aachener Almanach, das literarische Debüt einer Gruppe junger Expressionisten, an dem er selbst zusammen mit Josef Kreitz, Karl Otten und Franz Quentin mitgewirkt hatte. 1914 folgte Der Sohn, das Pinthus später als das »erfolgreichste expressionistische Stück […], das eine enorme Zahl von Vater-Sohn-Dramen zur Folge hatte« pries. In seiner Widmung dankt Hasenclever Pinthus: »Sie sind der erste Mensch, der das Stück erkannt hat«. Ein weiteres Standardwerk des Expressionismus, die von Pinthus herausgegebene Gedichtanthologie Menschheitsdämmerung (1919/20), enthielt neunzehn Gedicht aus der Feder Hasenclevers.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bedeutet das Ende der unbeschwerten Leipziger Jahre. Hasenclevers anfängliche Kriegseuphorie, die ihn dazu bewog sich freiwillig zu melden wandelte sich bald in einen entschiedenen Pazifismus. Die Zeit nach seiner Entlassung aus dem Kriegsdienst verbrachte er in einem Nervensanatorium in Dresden. »Aus dieser Düsternis suchte ich Hasenclever zu befreien, als auf meine Veranlassung eine Berliner Zeitung ihn als Korrespondent nach Paris schickte«, erinnerte sich Pinthus später. In den Folgejahren produzierte Hasenclever erfolgreiche Komödien wie Ein besserer Herr (1926) und Ehen werden im Himmel geschlossen (1928). In Folge der Machtübernahme der Nationalsozialisten ging Hasenclever 1933 ins Exil nach Nizza. Um nicht deutschen Soldaten in die Hände zu fallen nahm er sich nach der Niederlage Frankreichs 1940 in Les Milles bei Aix-en-Provence das Leben.

 

Stefanie Hundehege

 

[1] Kurt Pinthus: Der Freund Walter Hasenclever. In: Blätter des Deutschen Theaters und der Kammerspiele, H5, 1925-26, S. 2-4; die folgenden Zitate ebd.

Kurt Pinthus mit Franz Werfel, Walter Hasenclever u. a. (von rechts nach links), Leipzig, 1911/12

Kurt Pinthus mit Franz Werfel, Walter Hasenclever u. a. (von rechts nach links), Leipzig, 1911/12