Mit guter Miene über das Exil hinweg: Kurt Pinthus und Mascha Kaléko

»Langschweifig lamentieren die Philosophen, / Der Lyriker stirbt oft schon in drei Strophen (Unbekannter Autor. Vermutlich: M. K.)«

So heiter und pointiert, wie es für ihre neusachliche Alltagslyrik charakteristisch gewesen ist, schrieb sich die Dichterin Mascha Kaléko in Pinthus’ Bibliothek ein. Erhalten hat sich der hier zitierte Zweizeiler inklusive einer innigen Zueignung in einem Exemplar des 1956 neu aufgelegten Lyrischen Stenogrammhefts. Der Gedichtband, der in den 1930er Jahren Kalékos Ruhm mitbegründete, hat sich darüber hinaus auch in einem Exemplar der Erstausgabe von 1933 in Pinthus Büchersammlung überliefert. Zusammen umspannen beide Bücher knapp 25 Jahre der freundschaftlichen, sich von Berlin über New York und schließlich Jerusalem wohin Kaléko 1959 umsiedelte erstreckenden Verbundenheit. Die Widmung erzählt bis heute von dieser Vertrautheit. Nicht nur durch den Superlativ »freundschaftlichst«, sondern auch dadurch, dass die Liebenswürdigkeit des Empfängers Pinthus durch Kaléko noch einmal ganz wörtlich unterstrichen worden ist.

Kaléko und Pinthus lernten sich Mitte der 1920er Jahre an der Lessing-Hochschule zu Berlin kennen, wo die Lyrikerin und Kabarettautorin berufsbegleitend Philosophie und Psychologie studierte, während Pinthus hier als Dozent tätig war. Für Kaléko sollte die Begegnung entscheidend werden, denn »in seiner Funktion als Leiter der Literarischen Abteilung der Berliner Funkstunde verhalf er der jungen Autorin durch die erstmalige Ausstrahlung ihrer Kabaretttexte [...] zu größerer Bekanntheit.«[1]

Mascha Kaléko, circa 1936
Mascha Kaléko, circa 1936

Mascha Kaléko: Das lyrische Stenogrammheft. Hamburg 1933, DLA Marbach (BKP4), Foto: Anja Blesser
Mascha Kaléko: Das lyrische Stenogrammheft. Hamburg 1933, DLA Marbach (BKP4), Foto: Anja Blesser

Kurz vor der Reichspogromnacht 1938 flüchtete auch Kaléko mit ihrer Familie nach New York, wo es zu gelegentlichen Treffen und regelmäßigen sonntäglichen Telefonaten kam. Die im DLA Marbach überlieferte Korrespondenz aus den Jahren 1948 bis 1962 vermittelt einen Eindruck von den Gesprächsthemen, die immer wieder um gemeinsame Bekannte, andere Exilautor:innen, aber auch transatlantische Verbindungen nach Deutschland kreisen. Zentral für beide war und blieb beispielsweise Ernst Rowohlt, der sich im literarischen Nachkrieg um Neuauflagen seiner während des NS verfemten Autor:innen bemühte. Kaléko sträubte sich zunächst, in Deutschland wieder literarisch in Erscheinung zu treten, ging dann Mitte der 1950er Jahre indes doch auf die Anfragen des Verlegers ein. So erschien nicht nur Das Lyrische Stenogrammheft erneut bei Rowohlt, sondern zwei Jahre später auch die Verse für Zeitgenossen, die Kaléko 1945 zunächst im amerikanischen Schoenhof Verlag veröffentlichte. Als amerikanisch-jüdische Autorin (1944 erhielt sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft) feierte Kaléko im Nachkriegsdeutschland ein kurzes Comeback, das die kokette Anspielung auf den »Unbekannte[n] Autor. Vermutlich M. K.« als Teil derjenigen Ironisierungsstrategien erscheinen lässt, die ihr Werk ausgemacht haben. Kurt Pinthus wiederum hat dieses literarische Alleinstellungsmerkmal in einer wichtigen Rezension über die Autorin auf den Punkt gebracht: »Wie sie über die Jahre des Exils sich mit guter Miene oder guter Laune hinwegbringt; [...] das ist in diesem Ernst, der sich heiter gibt, heute kaum dichterisch zu finden.«[2]

 

Sarah Gaber


    

[1] Julia Meyer: »Zwei Seelen wohnen, ach, in mir zur Miete«. Inszenierung von Autorschaft im Werk Mascha Kalékos, Dresden 2018, S. 43f.

[2] Kurt Pinthus: Die zweitbesten Namen – Dichterin der Großstadt – Sentiment und Zynismus, in: Die Zeit, 15. August 1958.