In der Hoffnung auf Frieden: Kurt Pinthus und Fritz von Unruh

»Möge dieser Friede noch in unserem Leben eine Wirklichkeit werden. Für Kurt Pinthus, freundschaftlichst Ihr Fritz von Unruh«. Es sind nur wenige Zeilen, mit denen Fritz von Unruh im Juli 1952 ein Exemplar seines schmalen Bändchens Friede auf Erden! (1948) versah, bevor er es auf die Reise zu Kurt Pinthus nach New York schickte. Und doch steckt in dieser kurzen Autorenwidmung ein großer Wunsch: die Hoffnung nach einem friedlichen Zusammenleben, die erst vor dem kriegsgebeutelten und von Fluchterfahrungen geprägten Schicksal der beiden Männer an Kontur gewinnt.

Die politischen Wechselfälle des 20. Jahrhunderts haben sich bereits früh in die Lebensläufe von Pinthus und von Unruh eingeschrieben: Wie viele der um 1885 Geborenen ziehen sie als junge Männer freiwillig und euphorisch in den Ersten Weltkrieg. Als von Unruh im dritten Kriegsjahr verwundet wurde, vollzog er jedoch eine fundamentale pazifistische Kehrtwende, die sein Schreiben von da an bestimmen sollte. Antimilitaristische Themen prägten auch die Dramen, die Unruh gegen Ende der 1910er Jahre im avantgardistischen Kurt-Wolff-Verlag platzierte, wo zur gleichen Zeit Kurt Pinthus als Lektor tätig war. Trotz gemeinsamer Bekannter aus dem Umkreis der (ehemaligen) expressionistischen Zirkel kam es jedoch erst 1932 in Italien zu einem persönlichen Kennenlernen der beiden Männer. In einem Brief an Pinthus aus dem Jahr 1961 erinnerte sich von Unruh wie folgt an diese Begegnung am Vorabend der Hitlerdiktatur, gegen die beide Männer – der eine als leidenschaftlicher Pazifist, der andere als Fürsprecher einer deutsch-jüdischen Literatur – öffentlich Stellung bezogen:

Ich erinnere es wehmütig, wie Sie im Herbst 1932 meine Frau und mich in Zoagli besuchten. Dort lernten wir uns kennen […]. Meine Rede im Sportpalast Berlin gegen Hitler war schon ein paar Monate verklungen und wir fühlten, dass es nun aller geistigen Anstrengungen bedurfte um den Deutschen überhaupt noch gegen die sich wie eine mittelalterliche Pest rasch verbreitende ,braune Aera‘ ein Heilserum reichen zu können.[1]

 
Fritz von Unruh: Friede auf Erden. Frankfurt 1940, DLA Marbach (BKP4), Foto: Chris Korner (unten: mit dem zitierten Brief Pinthus' vom 8. November 1940)
Fritz von Unruh: Friede auf Erden. Frankfurt 1940, DLA Marbach (BKP4), Foto: Chris Korner (unten: mit dem zitierten Brief Pinthus' vom 8. November 1940)

Kein Jahr später brannten bei den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten sowohl das Frühwerk von Unruh als auch die von Kurt Pinthus herausgegebene Anthologie Menschheitsdämmerung. Vor den Repressalien in Deutschland floh von Unruh zunächst nach Italien, Südfrankreich und Spanien, bevor er 1940 in die USA gelangte, wo es zu einem zufälligen Wiedersehen mit Pinthus kam. Dieser war bereits 1937 unter dem Vorwand einer Studienreise erstmalig an die amerikanische Ostküste gereist, um vor Ort seine Emigration vorzubereiten. In einem Brief, den Pinthus am 8. November 1940 an von Unruh schickte, wird die geteilte Exil-Station New York als persönlicher Glücksfall bezeichnet, der doch eine überpersönliche Dimension besitzt: Am anderen Atlantikufer konnte die in Deutschland als »entartet« verfemte expressionistische Generationsgemeinschaft fortbestehen. In diesem Zusammenhang literarischer Kontinuitätsstrategie zentral wurde für Pinthus zudem seine knapp 9.000 Bände umfassende Privatbibliothek, die er – auch dies steht in dem besagten Brief an von Unruh – »mit allen Ihre[n] Büchern«  und weiteren wertvollen Erstausgaben der historischen Avantgarde »durch einen wuesten Husarenstreich aus Naziland heruebergerettet« hatte.

 

Ilka Schiele und Sarah Gaber

In längerer Fassung zuerst unter: Sarah Gaber und Ilka Schiele: Pinthus rettet seine Bibliothek, in: S.O.S. Exilbriefe aus dem Deutschen Literaturarchiv, hg. von Nikola Herweg, Marbach am Neckar 2022, S. 146151.

 

[1] Kurt Pinthus an Fritz von Unruh, New York, 8. November 1940. DLA Marbach (A:Pinthus; 71.5324,1).