Produktion

Schon in den ersten Jahrzehnten nach seiner Erfindung wurde das gedruckte Buch zum begehrten Handelsgut und war den Gesetzen des Marktes unterworfen. Täglich musste sich ein Drucker die Frage stellen, wie viele Exemplare er drucken sollte, wo er sie zum Verkauf anbieten könnte, und wie zahlreich die Konkurrenz anderer Drucker sein würde. Nicht nur dies ist ein erkennbarer Unterschied zwischen Drucker und Schreiber. Kopisten arbeiteten für einen konkreten Auftraggeber, während Drucker zumeist einen anonymen, überregionalen Markt bedienten. Daher gehörte die realistische Einschätzung der Märkte zu den grundlegenden Kompetenzen, die ein Drucker-Herausgeber mitbringen musste, um auf dem risikoreichen Büchermarkt bestehen zu können. Die ökonomischen Verhältnisse in der Welt außerhalb der Werkstatt wirkten sich also wesentlich auf die Abläufe in ihrem Inneren aus. Ein sicheres Gespür für die teilweise europaweite Entwicklung der Nachfrage war daher unerlässlich.

Die Vorgänge, welche die Herstellung von Druckerzeugnissen bestimmten, werden umso verständlicher, wenn wir sie anhand kanonischer Schriften wie Bibeln und Psalter zu rekonstruieren versuchen.

Das Buch der Psalmen gehört zu jenen Büchern, die im Judentum und Christentum zwischen 800 v.Chr. und 400 n.Chr. in den Kanon der Heiligen Schrift aufgenommen wurden. Da es sich bei den Psalmen nicht nur um religiöse, sondern auch um poetische Texte handelt, galten sie schon in der jüdischen Liturgie als Textbuch der Andacht par excellence. Seit im Mittelalter Andachtsübungen und das Rezitieren von Psalmen außerhalb des Gottesdienstes in der alltäglichen religiösen Praxis sowohl des Klerus als auch der Laien an Bedeutung gewannen, kann der Psalter als einer der meist gelesenen Texte in der Vormoderne bezeichnet werden. Der immensen Bedeutung der Psalmen für die christliche Liturgie und Andacht entspricht die enorme Anzahl der gedruckten Psalter in der Frühen Neuzeit.

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Gemäß den Angaben in den maßgebenden europäischen Katalogen gedruckter Editionen (ISTC, GW, USTC, VD16, VD17) wurden bereits in der Inkunabelzeit mehr als 200 unterschiedliche Editionen von Psaltern publiziert. Die Hälfte davon erschien allein im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts. Während und nach den ersten Jahren der Reformation verdoppelte sich die Produktion nochmals. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts erschienen nahezu 900 Ausgaben des Psalters. Im 17. Jahrhundert waren es allein im deutschsprachigen Raum fast 270 verschiedene Ausgaben.

Zwischen 1450 und 1700 beschäftigten sich ca. 2000 Drucker mindestens einmal in ihrem Leben mit dem Druck von Psalmen. Die Produktion konzentrierte sich überwiegend auf die großen frühneuzeitlichen Zentren des Buchdrucks wie Paris, Leipzig, Antwerpen, Genf, Lyon und Venedig, doch insgesamt lassen sich Psalter aus beinahe 250 Druckorten nachweisen.

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Dabei handelt es sich um Klöster, Verwaltungs- und Gerichtssitze, kleine und größere Fürstenhöfe, Universitäten und vor allem um große Handelsstädte. Jeder dieser Orte bot einen oder mehrere Anreize, die den Druckerzeugnissen einen sicheren Absatz garantierten: So konnten beispielsweise umfangreiche Handschriftensammlungen in den Klosterbibliotheken als Vorlagen für Drucke dienen. Ein Handelsknotenpunkt gewährleistete Vertrieb und Verbreitung gedruckter Werke über ein weitverzweigtes Netz von Kaufleuten. Geht man von einer geschätzten durchschnittlichen Auflagenzahl von 1.500 Exemplaren pro Auflage aus, dürften im Zeitraum von 150 Jahren ca. 1.650.000 Exemplare hergestellt worden sein. Demgegenüber konnte in Studien zur historischen Demographie und zur Geschichte des Lesens berechnet werden, dass von den ca. 60-70 Millionen Einwohnern, die zwischen 1450 und 1600 im europäischen Raum lebten, nur 4-5% – also ungefähr 3,5 Millionen – des Lesens mächtig waren. Rein rechnerisch fällt also auf jeden zweiten potentiellen Leser ein Psalter-Exemplar. Dementsprechend mussten Drucker Strategien entwickeln, um ihre Ware auf diesem Markt erfolgreich abzusetzen. Dies gelang ihnen mit einer starken Binnendifferenzierung der Produktion: Psalmeneditionen in vielen unterschiedlichen Sprachen und Formaten waren ein Ergebnis dieser Kalkulationen. Zudem wurden Psalter-Ausgaben in unterschiedlichen Formaten geplant.

 

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Für Buchhistoriker sind schon Sprache und Format eines Druckes wichtige Indizien zur Identifizierung des vom Drucker avisierten Zielpublikums. Das breite Spektrum der Käufer, die mit gedruckten Psaltern erreicht werden sollten, wird erkennbar, wenn man nicht nur mit Hilfe der obengenannten Online-Kataloge (http://vfr.mww-forschung.de/web/psalter/Kataloge) quantitative Aussagen zu den materiellen, typographischen und inhaltlichen Eigenschaften der Ausgaben trifft, sondern die Bücher zusätzlich einer autoptischen Analyse unterzieht.

Die Produktion konzentrierte sich zunächst auf Klöster als Absatzorte, in denen Ordensleute bei ihren kollektiven Andachtsübungen täglich die Psalmen rezitierten.

Psalterium Monasticum. Toul: Simon Belgrand, 1626.
http://diglib.hab.de/drucke/6-4-theol-2f/start.htm

Psalterium Cistercense, Paris: Sebastian Cramoisy, 1644.
http://diglib.hab.de/drucke/4-93-theol-2f/start.htm

 

Folioausgaben wurden für unterschiedliche Orden wie Zisterzienser oder Benediktiner stets auf Latein gedruckt. Die Psalmen ordnete man in der Folge des liturgischen Jahres in Tages- und Stundengebete. Darüber hinaus erweiterte man den Kernbestand durch zusätzliche Texte für die Andacht.

Daneben waren Humanisten und Gelehrte aufgrund ihrer relativ hohen Kaufkraft bevorzugte Kunden der Drucker und dies nicht nur für elegante Editionen humanistischer Literatur. Deren philologischen Interesse kamen die Drucker mit zahlreichen mehrsprachigen Psalmenausgaben entgegen,  etwa lateinisch-hebräisch, lateinisch-griechisch oder gar fünfsprachig: hebräisch-griechisch-arabisch-chaldäisch-lateinisch.

     

Psalterium Hebraicum, Basel: Johann Froben, 1523.
http://diglib.hab.de/drucke/a-25-12f-helmst/start.htm

 

Psalterion = Psalterium: Juxta Exemplar Alexandrinum. Oxoniae: Theatrum Sheldonianum, 1678.
HAB: Bibel-S. 588.

 

Psalterium Hebreum, Grecum, Arabicum, & Chaldeum. Genua: Porrus, 1516.
HAB: Bibel-S. 4° 219a.

 

 

Psalterium Davidis, Köln: Johannes Kreps, 1625.
http://diglib.hab.de/drucke/bibel-s-619/start.htm

 

Neben der Produktion von Psaltern, die sich an Humanisten und Kleriker richteten, räumten die Drucker schließlich solchen Editionen ausreichend Platz ein, welche der Nachfrage einer nicht spezialisierten Leserschaft nach kanonischen Erbauungstexten entsprach.

     

De nye düdesche Psalter mit den Summarien. Wittenberg: Johannes Lufft, 1533.
http://diglib.hab.de/drucke/a-25-12f-helmst/start.htm

 

Psalterium ex hebreo diligentissime ad verbum fere tralatum, Venedig: Peter Liechtenstein, Daniel Bomberg, 1515.
http://diglib.hab.de/drucke/s-180-4f-helmst-4s/start.htm

 

 

Psaumes de David. [Strasbourg: Rémy Guédon, 1548].
http://diglib.hab.de/drucke/tc-250-1s/start.htm

 

 

 

In der Zeit der Reformation wurden besonders häufig lutherische Psalmenausgaben veröffentlicht. Es ist davon auszugehen, dass ungefähr 200 verschiedene Psalter gedruckt wurden, die ein Vor- oder Nachwort Martin Luthers erhalten oder deren Druck vom Reformator selbst initiiert wurde. Psalter für Katholiken publizierten die Drucker-Verleger oft in Kombination mit Privilegien des Papstes. Seit 1539 kamen zusätzlich sogenannte Hugenottenpsalter auf den Buchmarkt.

Die quantitative und qualitative Druckforschungsanalyse, die sich mit den von den frühneuzeitlichen Drucker-Verlegern verwendeten Formaten, Typen, dem Layout und den Paratexten auseinandersetzt, liefert grundlegende Informationen zur materiellen Beschaffenheit und den technischen Eigenschaften Hunderter von Psalterausgaben, die den Büchermarkt überschwemmten. Sie erlaubt zudem eine adäquate Beurteilung der vielfältigen Lösungen, welche Drucker fanden, um ihre Produktion zu differenzieren und sich auf diese Weise eine möglichst große Kundschaft zu sichern.