Projekt

Gegenstand der Fallstudie ist der dingliche Nachlass des Weimarer Nietzsche-Archivs, der insbesondere den Hausrat Elisabeth Förster-Nietzsches, aber auch authentische Nietzsche-Memorabilien und im Umfeld des Nietzsche-Archivs entstandene Kunstwerke umfasst. Seit der Auflösung des Archivs in den 1950er Jahren sind diese Bestände zu einem großen Teil dem Blick der Öffentlichkeit entzogen. Sie spiegeln die in der Villa Silberblick gelebte Wohn- und Repräsentationskultur ebenso wie die Entwicklung der Nietzsche-Ikonographie, die maßgeblich von Elisabeth Förster-Nietzsche geprägt wurde.

Die Fallstudie behandelt zwei komplementäre Themenbereiche:

  • das Bild des Philosophen in Fotografie und Kunst bis 1945
  • die Wohn- und Sammlungsräume im 1. Obergeschoss des Nietzsche-Archivs

Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bildete das Nietzsche-Archiv mit seinen Editionen und dem Sterbezimmer des Philosophen einen modernen Gegenpol zu den Weimarer Klassikerstätten. Während die Dichterhäuser nach 1945 bald wieder als museale Gedenkstätten in Betrieb genommen wurden, fand das Nietzsche-Archiv aufgrund der Verstrickungen Elisabeth Förster-Nietzsches mit dem Nationalsozialismus keinen Platz in der Kulturpolitik der DDR. Die über ein halbes Jahrhundert in situ tradierten Bestände wurden auf die Direktionen der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (NFG) verteilt, die Wohnbereiche im ersten Obergeschoss zu Gästezimmern umgebaut.

Seit der Wiedervereinigung ist das Erdgeschoss mit den 1903 von Henry van de Velde umgestalteten Räumen, die für die Nähe des Nietzsche-Archivs zum Neuen Weimar stehen, wieder zugänglich. Das 1. Obergeschoss – und damit sowohl die Lebenswelt Elisabeth Förster-Nietzsches als auch die des todkranken Philosophen selbst – bleibt der Öffentlichkeit weiterhin verborgen.

Gustinus Ambrosi: Friedrich Nietzsche, Gips (historische Fotografie), 1911
Gustinus Ambrosi: Friedrich Nietzsche, Gips (historische Fotografie), 1911

Salon im Nietzsche-Archiv mit der Hermenbüste Max Klingers, vor 1905
Salon im Nietzsche-Archiv mit der Hermenbüste Max Klingers, vor 1905

Die Fallstudie hat hier enge Berührungspunkte mit der Forschungsgruppe Raum, für die der methodisch reflektierte Umgang mit verlorenen Sammlungen und Sammlungsräumen eine zentrale Frage darstellt, insbesondere mit Blick auf die Möglichkeiten einer digitalen Rekonstruktion.

Kuinst und Memoria ist auf drei Handlungsfeldern aktiv, um diesen weitgehend vergessenen Sammlungsbestand wieder im Zusammenhang sichtbar zu machen:

  • NietzschePics als digitales Portal zur Nietzsche-Ikonographie
  • Ausstellung zur Wohnkultur im Nietzsche-Archiv im Rahmen des KSW-Themenjahrs 2023
  • Publikation der im Umfeld des Archivs entstandenen Nietzsche-Porträts und der zugehörigen Künstlerbriefe

Die digitale Zusammenführung der getrennt aufbewahrten Bestände ist ein Modellfall für den geplanten Virtuellen Sammlungsraum (VSR). NietzschePics nimmt dabei das Material jenseits des Werks in den Blick, das für das Portal Nietzsche Source keine Relevanz hat und bisher nur zum Teil online recherchierbar ist. Die normdatenbasierte Zusammenführung der getrennt erfassten Objekte setzt deren vertiefte Erschließung im Rahmen der Fallstudie voraus.