Haggada - Die Bibliothek von Karl Wolfskehl
Haggada oder Erzählung von Israels Auszug aus Egypten
Bis heute haben sich in der Schocken-Bibliothek Jerusalem größtenteils die Hebraica und Judaica aus der Bibliothek Karl Wolfskehls erhalten. Diese Inhalte waren dem Dichter, der stets seinen jüdischen Wurzeln verbunden blieb, wertvoll, auch wenn er Bücher mit jüdischem Bezug nie systematisch sammelte und diese nur einen vergleichsweise kleinen Teil seiner Bibliothek ausmachten. Eine Abteilung »Judaica und Hebraica« entstand erst nach dem Verkauf der Sammlung an Salman Schocken 1937, während Wolfskehl selbst in anderen Kategorien dachte. Mehr als für die religiöse Komponente, interessierte sich Wolfskehl für den kulturhistorischen Aspekt, für die Geschichten und Gebrauchsspuren, die diese Inhalte mit sich brachten: »Eine alte Haggada, das mystische, jüdische Osterritual, muss Weinflecken aufweisen, in deren Nachdunkeln dämmert die erwartungsvolle gedämpfte Fröhlichkeit der Vorabendfeier weiter«, formulierte Wolfskehl in seinem Essay Erhaltungsfetischismus (GW II, S. 514).
Wolfskehl besaß mehrerer solcher Haggadot, Bücher, die Geschichten um das Exil des Jüdischen Volkes und den Auszug aus Ägypten beinhalten und am Vorabend des Pessach-Festes gemeinsam in der Familie gelesen werden. Vorwiegend beinhaltete Wolfskehls Bibliothek Haggada-Ausgaben des frühen 19. Jahrhunderts, gedruckt in Rödelheim und Wien, aber auch eine Pessach-Haggada von Isaac Offenbach (1779–1850), die 1838 in Köln erschienen war. Diese im reformorientierten Judentum verbreitete Ausgabe in hebräischer und deutscher Sprache, mit zahlreichen Liedern und aufwendig illustriertem Deckblatt stellte eine Quelle jüdischen Lebens des Rheinlandes im 19. Jahrhundert dar. Wolfskehl mag darin einen Bezug zu seiner eigenen Herkunft gesehen haben. Vielleicht interessierte die Haggada den Schwiegersohn des Dirigenten und Komponisten Willem de Haan (1849–1930) aber auch, weil der Kantor Isaac Offenbach der Vater des Komponisten Jacques Offenbach war.
Eine persönliche Konnotation fand er auch in der von Siegfried Guggenheim 1927 erstmals herausgegebenen, reich illustrierten Offenbacher Haggadah (Offenbach 1927). Wolfskehl besaß bereits eine mit zahlreichen kolorierten Holzschnitten verzierte Haggada aus Offenbach, die um das Jahr 1800 gedruckt worden war. Jene aus dem Besitz Guggenheims, der wie Wolfskehl aus dem Rheinland stammte, hatte er als Geschenk von diesem während seines Exils in Italien erhalten. Das von Wolfskehl in einem Brief an Guggenheim aus dem Jahr 1933 als »unstreitig die schönste aller neuzeitlichen Haggadah« (Schneidawind 2019, S. 42) bezeichnete Exemplar ging jedoch bei der weiteren Flucht nach Neuseeland verloren. Als Wolfskehl dies Guggenheim in einem der vielen Briefe mitteilte, die die beiden während des Exils wechselten, schickte dieser ihm aus New York einen Sonderdruck der Offenbacher Haggadah auf weißem Büttenpapier ans andere Ende der Welt nach, was Wolfskehl sehr berührte. In einer zweiten Auflage der Offenbacher Haggadah (1960), deren Erscheinen Wolfskehl nicht mehr erleben sollte, nahm Guggenheim Wolfskehls Gedichte Am Seder zu sagen und Die Stimme auf.
Beide Exemplare der Offenbacher Haggadah aus dem Besitz Karl Wolfskehls gelten heute als verschollen. Die Offenbacher Haggada von 1800 sowie die Haggada Isaac Offenbachs aus dem Vorbesitz Karl Wolfskehls haben sich in Jerusalem erhalten.
Text: Julia Schneidawind
Haggada oder Erzählung von Israels Auszug aus Egypten. Neu bearbeitet […] von I.[saac] Offenbach, Cantor der Israelitischen Gemeinde in Köln a/R. Köln 1838.
Aufbewahrungsort: Jerusalem – Schocken Institute for Jewish Research; Bibliothek K.W., Nr. 66279
Abbildung: Offenbacher Haggada, 1927, © Leo Back Institute New York