Erbe und Zerstreuung - Die Bibliothek von Karl Wolfskehl
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Erbe und Zerstreuung
In den Jahren und Jahrzehnten nach ihrer Rettung wurde die Büchersammlung für Schocken zunehmend zum Sorgenkind. Lediglich an ihren Rändern auf eine spezifische, teils verborgene deutsch-jüdische Tradition verweisend, sprengte sie den Sammlungskern des Schocken Institutes for Jewish Research schlichtweg. Versuche, Teile der Bibliothek im Tausch gegen Judaica und Hebraica kontrolliert nach Deutschland zurückzuführen, scheiterten am »eiserne[n] Festhalten an jüdischen Kulturgut im Nachkriegsdeutschland« (Schneidawind 2023, S. 215). Auch zu einem Rückkauf, wie ihn Wolfskehls Freund Edgar Salin in den 1950er Jahren initiieren wollte, kam es nicht.
Zugleich forderte Schocken seine Kinder noch zu Lebzeiten dazu auf, über eine Neuausrichtung der Schocken Library nachzudenken, die sich künftig (noch) stärker auf die Zeugnisse und Quellen der hebräischen Kulturtradition konzentrieren sollte. Gleichsam mit großen Teilen von Schockens eigenem Bücherbesitzes gelangten so tausende Bände mit Wolfskehl’scher Provenienz auf den Büchermarkt. Drei Auktionen des Hamburger Traditionshauses Hauswedell & Nolte in den Jahren 1975 und 1976 wurden zum maßgeblichen Moment einer Zerstreuung, für die die hier versammelten Exponate Pars pro Toto stehen, auch wenn sie die Zersplitterung natürlich nur ansatzweise abzubilden in der Lage sind.
Auf den Versteigerungen in Hamburg füllten »Deutsche Bibliotheken ihre historisch bedingten Lücken« (Jessen 2018a, S. 34). Zu einem geschlossenen Ankauf wie seinerzeit durch Schocken kam es nicht – auch nicht durch das DLA Marbach, wo Bernhard Zeller bereits 1972 Nachlassteile von Margot Ruben erworben hatte. Stattdessen geben die Erwerbungen durch verschiedenste Sammlungseinrichtungen und Privatpersonen in ganz Europa Aufschluss über regionale und thematische Sammlungsstrategien, die zum Teil ganz unabhängig von Wolfskehls Vorbesitz zu sehen sind. So befindet sich das abgebildete Exemplar von Schellenbergs Biblischen Geschichten heute in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. In Marbach, wo neben der Exilliteratur und Literatur der Moderne auch ein historischer Sammlungsschwerpunkt auf schwäbischer Literaturgeschichte liegt, wird wiederum der Gedichtband von Karl Mayer verwahrt, der nicht nur auf die Autorenbibliothek Wolfskehls, sondern auch auf diejenige Eduard Mörikes zurückverweist.
Text: Sarah Gaber