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Digital ist eigen. Eindrücke von der MWW-Endterm-Tagung aus Sicht des Digital Makerspace

Eine Notiz von Ben Kaden und Tim Köhler (Digital Makerspace KSW / MWW)

Wir betonen regelmäßig, dass der Digital Makerspace in Weimar keinen allzu engen Zuschnitt auf die Digital Humanities, ihre Methoden und Werkzeuge haben wird. Dafür gibt es auch gute Gründe konzeptioneller Natur. Aber wenn man dann auf einer Tagung wie dieser mit der DH-Community über dem Garten hinter dem Wohnhaus von Johann Wolfgang von Goethe zusammensitzt und sich über die Vielfalt der Erkenntnisfragen, Programme und Entwicklungslinien digitaler geisteswissenschaftlicher Forschung austauscht, freut man sich doch wieder sehr, dezidierte Einblicke und Anschlüsse an diese Community und ihre Forschung zu haben.

Mehr noch – im Prinzip und gemäß unserer eigenen Planung und Programmatik wäre fast jeder Input der Endterm-Tagung thematisch in die Programmarbeit des Digital Makerspace integrierbar. Und wenn die hervorragend organisierte Veranstaltung einen Schwachpunkt besaß, dann den, dass man angesichts der hohen Vortragsdichte mitunter zu wenig Gelegenheit hatte, sich noch tiefer in den Austausch zu begeben. Kaum war ein Input im Festsaal des Goethe-Nationalmuseums am Frauenplan vorüber, stand bereits der nächste, nicht minder spannende, an.

Was bleibt sind zahllose Notizen, hinter denen häufig ein, zwei oder drei Ausrufezeichen den Bedarf für die eigene Vertiefung markieren. Dieser Bericht hält eine Auswahl dieser Ausrufezeichen fest, also das, was uns für den Digital Makerspace besonders herausstach und uns relevant erschien.

Topologisches

Zur Einstimmung wies die Präsidentin der Klassik Stiftung, Ulrike Lorenz, darauf hin, dass die Stiftung neben all den in den Häusern befindlichen Sammlungen, Objekten und Beständen, auch Räume „sammelt“. Der Gedanke ist so naheliegend wie wunderbar. In Anbetracht des Space in Digital Makerspace entwickeln der Forschungsverbund MWW und die Klassik Stiftung Weimar also ein neues Sammlungsobjekt und so wollen wir ihn auch denken. Ausrufezeichen.

Weimar ist bereits aus seiner Eigenlogik und Geschichte heraus eine Musterbeispiel für die Verknüpfung von Raum, Wissen und Deutungen, deren vielgestaltige Ausprägung längst wiederum eigene Referenzräume darstellt. Wissenschaft wiederum schaut auf Wissen, entsprechend bildet auch die „Wissenstopographie Weimar“ den dankbaren Ankerplatz für diese Konferenz. Dass es aber auch um eine Deutungs- und Interpretationstopographie durchaus konkurrierender Wahrnehmungen und Erzählungen geht, wäre vielleicht zu ergänzen. Mit dem Digital Makerspace wird es, einen Raum geben, der dezidiert – Stichwort Making – auch handlungstopologisch wirkt und dabei nicht nur auf rein akademische Perspektiven beschränkt sein wird. So wie Texte aufeinander Bezug nehmen, wird der neue Raum in Weimar auf die vielfältigen anderen Wissens- und Überlieferungsräume verweisen.

In seiner Eröffnungsrede für das Weimarer Kunstfest 2011 formulierte Stéphane Hessel das seither oft in Eröffnungsreden zitierte „Weimar ist ein Kommunikationsort für alle Fragen“, wobei der bittere unmittelbare Bezug der Aussage zum KZ Buchenwald bisweilen verschwiegen wird. Aber im Kern hat er umso mehr Recht und auch diese Seite der Geschichte Weimars wurde in der Endterm-Tagung besonders eindrücklich erwähnt. Weimar ist tatsächlich nicht nur der wilde Ritt durch die drei berühmten Zeitalter (gold, silber, bronze) der Kultur- und Geistesinnovation. Sondern auch die Zäsur des Nationalsozialismus. Und, bisweilen übersehen, die daran anschließende DDR mit all ihren spezifischen Schichtungen. Und schließlich auch mittlerweile mehr als 30 Jahre Nachbereitung und Neupositionierung seit dem Mauerfall und der deutschen Wiedervereinigung.

Das bessere Digitale?

So ist Weimar unabweisbar etwas Besonderes, selbst wenn es um die vermeintlich davon losgelöste und mottogebende Tagungsfrage „Digital ist besser?“ geht. Über Sinn und Zweck der Fragestellung soll hier nicht tiefer reflektiert werden. Das geschah während der Tagung selbst, wobei das Anliegen der Formulierung vor allem das Setzen eines Impulses in Form einer höflichen Provokation war.

Stefan Alschners in Teilen von einer KI vorformulierter Einstiegsvortrag bot in diesem anregenden Sinn vor allem in Bezug auf Chat-GPT zwei Einsichten. Erstens kann die Maschine, wenn man so will, Texte schreiben, die sich durchaus grammatisch und inhaltlich als plausible „Sonntagsreden“ inklusive erwartbarer rhetorischer Allgemeinplätze eignen. Wir werden bei Programmansprachen zur Digitalität in Zukunft wohl genauer und skeptischer hinhören müssen. Zweitens braucht man es selbst nicht noch ein weiteres Mal zu tun. Alle, die den Jux der KI-Inhalte nach der Einführung brachten, konnten dies nur noch mit abgemilderten Effekt. Was zugegeben auch die auf DALL-E-Bilder setzende Präsentation des Digital Makerspace betraf. Lesson Learned: KI-Content als Mittel der Überraschung muss mindestens auf die nächste Iteration der entsprechende Angebote warten oder auf ein zunehmend raffiniertes „Prompt-Engineering“ setzen.

Was sich aber als Idee aus diesem kurzen Blick auf Chat-GPT mitnehmen lässt und sicher auch längst seinen Platz in den progressiven Diskursen zur digitalen Zukunft reserviert hat, ist die Überlegung, dass KI-basierte Textgeneratoren eigentlich optimal für KI-basierte Textrezeption schreiben und so im digitalen Labor Modelle über Sprache und Sprachgebrauch analysierbar machen könnten. Die Formen und Folgen einer Maschine-zu-Maschine-Kommunikation, nicht zuletzt auch für die Digital Humanities, wären wahrscheinlich sogar die spannendere Debatte als die, ob sich Studierende dank Chat-KI prompt zum Bachelor-Abschluss mogeln würden und wie man dem vorbeugt.

Forschung im Verbund

Die Geschichte des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel ist, wie eine angenehm offene Rückschau Diskussion von Ulrike Lorenz, Anna Kinder (DLA Marbach) und Peter Burschel (HAB Wolfenbüttel) zeigte, eine mit Potential für eine hochinteressante eigene Historiographie. Eine solche Vernetzungs- und Kooperationsgeschichte würde diverse Facetten der Wissenschaftsförderung und griffige Anekdoten denkbar aufschlussreich verdichten. In gewisser Weise ist so ein Zusammenschluss ja auch ein Modell mit epistemologischer Dimension: Was geschieht, wenn man drei aus der Distanz ähnliche erscheinende Forschungcluster anregt, „zukunftsweisende Impulse für die Zusammenarbeit in der geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschung zu liefern.“ (Selbstbeschreibung des Forschungsverbunds).

Hängen bleibt wohl schon einmal die organisationssoziologische Herausforderung, drei Großinstitutionen mit unterschiedlicher Perspektive und Entwicklung hinsichtlich der Digitalisierung in eine kohärente und inklusive Kooperationsform hineinwachsen zu lassen. Dass dem Forschungsverbund am Ende so viel gelang, ist durchaus beeindruckend.

Andere Herausforderungen bleiben. Erstens ist da die Nachhaltigkeit, was eigentlich immer vor allem Ressourcen und Konzepte für die Weiterführung der in den Förderphasen geschaffenen Grundlagen bedeutet und insbesondere auch eine personelle und damit expertise- und wissensbezogene Kontinuität einschließt. Und zweitens das zentrale Dilemma fast aller sich digitalisierenden Kultureinrichtungen: wie gewinnt und hält man qualifiziertes Personal zur Umsetzung solcher Digitalisierungsstrategien. Einen möglichen Lösungsansatz brachte Ulrike Lozenz ins Spiel, als sie in den Raum stellte, an bestimmten Stellen Entwicklungen eventuell erfolgreicher von Beginn an in Technologiepartnerschaften mit privatwirtschaftlichen Akteuren umzusetzen, als immer neu mit schwer anschätzbarem Erfolg zu versuchen, alles selbst abzudecken. Dieser Aspekt wurde später im Hinblick auf die Werkzeugentwicklung wieder aufgegriffen: Für Standardbedarfe auch in den Digital Humanities, beispielsweise für digitale Werkzeuge, wird ein Angebot kommerzieller Softwareentwicklung als sinnvoll angesehen. Für spezialisiertere Forschung erscheint dies jedoch weniger realistisch.

Digital Humanities und Infrastruktur

Die Vorträge zu den Digital Humanities brachten vor allem eines zu Tage: Vor der Forschung, während der Forschung und nach der Forschung steht die Frage im Raum, was man mit den Daten macht. Forschungsdaten sind, so die Einsicht fast aller Präsentationen, sehr vielgestaltig, oft „widerspenstig“ und häufig in sehr großen Mengen anzutreffen. Digital Humanities brauchen, wie alle datenbezogene Forschung, entsprechende Infrastrukturen. Und sowohl die Forschung als auch ihre Infrastruktur brauchen Datenstandards und -konventionen, um sinnvoll und übertragbar arbeiten zu können.

Glücklicherweise fielen die Wörter „Insellösung“ und „Datensilos“ nur einmal, was darauf hindeutet, dass die Communities mittlerweile jenseits der Problematisierung unterwegs sind, um auf dem Feld der Problemlösung ihre Verfahren zu optimieren. Darum ging es dann auch gleich im ersten Panel zu den „Vorteile[n] und Herausforderungen bei der normierten Erschließung von Sammlungen“.

Ein Vorteil für die deutsche Kultur- und Wissenschaftslandschaft ist, dass die Deutsche Nationalbibliothek seit ziemlich genau 50 Jahren Normdaten entwickelt, die zunächst in Bezug zu den in ihren Sammelauftrag fallenden Publikationen, einen enormen Grundstock aufbaute und dazu auch ein Konzept, das durchaus funktioniert. Der Nachteil ist aber jedoch zugleich dieser Zuschnitt, der eine Erweiterung auf die mannigfaltige Welt anderer Kulturdomänen verkompliziert und naturgemäß in der Weltabbildung immer ausschnitthaft und auf wenige Perspektiven beschränkt bleiben wird.

Ein Aspekt, der nicht konkret benannt wurde, aber als „Elefant im Raum“ steht, ist die Spannung zwischen der geforderten Normierbarkeit und Vereindeutlichung der Entitäten und Objekte und dem Eigensinn und teils auch dem Anliegen einer bewussten Transgression der kulturellen Praxis und auch der wissenschaftliche Arbeiten an der sogenannten Forschungsfront. Die Natur kultureller und wissenschaftlicher Evolution ist, dass fortlaufend Dinge entstehen, die sich jeweils noch nicht eindeutig klassifizieren lassen. Wer wüsste das besser, als die Digital Humanities selbst.

Die Normierung wird dadurch bisweilen selbst zum Auslegungs- und Beforschungsakt, was die notwendige Verzahnung von Datenarbeit und Digital Humanities unterstreicht. Daher kann eine Datenmodellierung eigentlich nur retrospektiv und in vielen Fällen unter Vorbehalt erfolgen. Womit wir ein weiteres dankbares Thema für den Digital Makerspace hätten. 

Sonderbares (im besten Sinne) – angewandte Perspektiven

Für die Programmarbeit des Digital Makerspace von besonders inspirierender Qualität waren allerdings zwei Vorträge mit dezidiert angewandter Perspektive, die zugleich auch die Frage nach dem Wohin? und dem Wie-umgehen? mit bisher eher atypischen Sammlungsgütern stellten.

Joëlle Weis vom Trier Center for Digital Humanities der Universität Trier referierte über einen Bestand von Weinetiketten, dessen Erschließung und zukünftige Auswertung (Forschungsgrundlage für Wissenschaft bspw. zur Weingeschichte, Regionalgeschichte, Institutionengeschichte, Heraldik, Linguistik, Rechtsgeschichte), aber auch potentielle Verwendung für Bildung und Vermittlung, zudem im Tourismusmarketing. (PDF-Abstract zum Vortrag) Interessant: Das Projekt hatte mit einem früheren Kiosk im Stadtzentrum von Trier den „kleinsten Hörsaal“ als begeh- und besuchbaren Ort realisiert. So wurde das Projekt analog-partizipativ und ebenso zu einem Kanal für Wissenschaftskommunikation.

Dîlan Çakir vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach sprach zu „Überlegungen zu Born-Digitals-Beständen von Gamesautor:innen im Deutschen Literaturarchiv Marbach“(PDF-Abstract) anhand eines Vorhabens zur Sammlung und Erschließung von Computerspielen als Form von Literatur. Hier ergibt sich neben den projektbezogenen Forschungsfragen für Sammlung, Bewahrung und Nutzung aus Sicht des Digital Makerspace die Perspektive einer Anwendung in der Arbeit mit außerwissenschaftlichen Zielgruppen, die sich in beiden Fällen schon aus der lebensweltlichen Nähe der Objekte geradezu aufdrängt, aber auch in ihrem spezifischen kulturellen „Standing“ liegt.

Wein und Spielen sind universelle, auch lebensbejahende und instinktnahe Praktiken und dies auch mit Blick auf ihre „Produkte“, ihr Wissen und ihre Überlieferungen. Sie sind eine Fundgrube für die Kulturwissenschaften, liefern aber zudem leicht anschlussfähiges (digitales) Material für die partizipative Arbeit mit Sammlungsbeständen, wie es eines der Hauptziele des Digital Makerspace ist.

Ähnliches ließe sich so gut wie für jeden anderen der gehaltenen Vorträge festhalten. Exemplarisch sei an dieser Stelle noch Frage einer digitalen Abbildbarket des Nicht-Materiellen und der emotionalen Dimension der Erfahrungen von Objekten und Inszenierungen in Museen (Friederike Berlekamp, Institut für Museumsforschung, PDF-Abstract) benannt. Der Makerspace als Erfahrungsraum wird und will mit der Kontingenz umgehen müssen, die sich ergibt, wenn unterschiedliche, insbesondere auch nicht-akademische Zielgruppen, aktiviert werden.

Fazit

Es erweitert sich die Perspektive über die Digital Humanities hinaus in Richtung einer allgemeineren „Digitalen Sammlungsforschung“, die den, wenn man so will, Theorieteil des Digital Makerspace bildet und dabei ebenso auch eine Digitale Vermittlungsforschung umfasst. Digitalisierung, das ist die übergreifende Einsicht sowohl für die Digital Humanities als auch deren Präsentation, ist keine Komplexitätsreduktion. Eher wirkt sie ganz im Gegenteil. Aber sie ermöglicht, wie unter anderem das von Sylvia Asmus (Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek) vorgestellte Projekt zur Erstellung und zum Einsatz interaktiver 3-D-Zeitzeug*innen-Interviews(PDF-Abstract) sehr eindrücklich vermittelte, neue Anwendungen, die in diesem Fall eine besondere Dringlichkeit mit der Bewahrung der Erinnerungskultur einer verschwindenden Zeitzeugenschaft bekommen.

Digital(es) ist nicht besser oder schlechter. Es ist eigen. Mit ihm entstehen besondere epistemologische, ethische, mediologische und organisationale Fragen und Konsequenzen, die wenig überraschend in der Ballung überfordernd wirken. Auch das zeigte die Tagung: Jedes Problem, jede Herausforderung hat ihr eigenes Anrecht auf Geltung. Zugleich ist der Charakter jeweils partikular und entsprechend sprunghaft und assoziativ zeigt sich auch die kommunikative Auseinandersetzung dazu. Für die Digital Humanities entsteht eine Spannung aus der Anforderung, Gegenstände und Methoden datenstrukturell vereinheitlichen zu müssen, die traditionell gar nicht dafür gedacht und vielleicht auch gar nicht geeignet sind.

Möglicherweise ist die eigentliche Herausforderung also weniger, wie das Digitale die bisherige geistes- und kulturwissenschaftliche Forschung und die Sammlungs- und Vermittlungsarbeit transformiert. Sondern, wie sich geistes- und kulturwissenschaftliche Forschung und Sammlungs- und Vermittlungsarbeit genuin aus der Logik des Digitalen verstehen lassen.

Wenn es gelingt, diese Perspektiven im Digital Makerspace sowohl für das Making als auch die Reflexion zur digitalen Sammlungsforschung einnehmen und bearbeiten zu können, wäre dies nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal. Es wäre zugleich die Grundlage für die Bildung eines Hubs, eine Art hauseigenes „Kompetenzzentrums für Digitale Kultur“ für die Klassik Stiftung und den Forschungsverbund.

 

Erratum

In einer früheren Fassung dieses Blogposts war irrtümlicher Sandra Richter als Vertreterin des DLA Marbach für die Session zur Rückschau auf die Erfahrungen während der Laufzeit des Foschungsverbunds angegeben. Richtig ist natürlich, dass das DLA Marbach durch Anna Kinder vertreten wurde.

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