05.April 2023, 13:00 bis 16:30, Seminarraum Studienzentrum HAAB
Der Workshop wird gemeinsam mit der Abteilung Digitale Bibliothek der Herzogin Anna Amalia, vertreten durch Andreas Schlüter, Referatsleiter Digitale Entwicklung, durchgeführt.
Der entstehende Digital Makerspace an der Klassik Stiftung Weimar verfolgt nach seinem aktuellen Konzept bekanntlich zwei Programmlinien:
-
Die aktivierende Vermittlung und Interaktion mit digitalem Kulturerbe mit dem Ziel einer aktiven Adressierung und gegebenenfalls auch Be- und Verarbeitung mittels digitaler Werkzeuge. (Digital Making)
-
Die Reflexion über die An- und Herausforderungen, Möglichkeiten, Chancen und Grenzen der digital geprägten Auseinandersetzung mit Kulturerbe und Kulturerbe bezogenen Praxen. (Digitale Sammlungsforschung)
Eine Medienform, die optimal in beide Kategorien passt, ist erfahrungsgemäß die der Ansichtskarte. Ihre generelle Verbreitung, Bekanntheit und Nutzbarkeit ermöglicht einen aktivierenden Einsatz für unterschiedliche Zielgruppen. In Bezug auf Weimar als eine herausragende Destination des Kulturtourismus in Deutschland ist das Medium sogar noch spezifischer einsetzbar.
Zugleich finden sich zunehmend Sammlungen, Schenkungen, Vor- und Nachlässe mit Ansichtskarten in Kulturerbe- und Gedächtniseinrichtungen. Erschließungs- und vor allem auch digitalen Öffnungsformen sind dagegen nur sporadisch entwickelt und nicht standardisiert. Damit sind Ansichtskarten in Kulturerbeinstitutionen ein idealer Anwendungsfall für die digitale Sammlungsforschung und darin eine schönes Beispiel die digitale Erschließung und Nutzbarmachung von so genannten Ephemera.
Betrachtet man nun eine dritte Entwicklung, nämlich die digitale Philokartie, also das Zurschaustellen und in die Interaktion treten mit Ansichtskarten beispielsweise über Social-Media-Strukturen (hier ein Beispiel auf Instagram) oder auf bürgerwissenschaftlich ausgerichteten Plattformen, schließt sich der Kreis: Richtig aufbereitet sind digitalisierte Ansichtskartenbestände ein hochattraktives Medium an der Schnittstelle unterschiedlicher Wissenschaften, Wissenskulturen und Öffentlichkeiten.
Ansichtskarte: Weimar. Goethehaus am Frauenplan. Веймар. Дом Гёте на Фрауенплане.Weimar. Goethe's house at the Frauenplan. Weimar. Maison de Goethe au Frauenplan.
Weimar: Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen Literatur in Weimar (V 11 50 RG 6/6/77). 1977
Im Workshop am 05. April 2023 widmen wir uns also diesem Medium. Unter den Ephemera sind sie nach Briefmarken die vermutlich häufigsten Sammelobjekte. Ihre Vielfalt übersteigt die von Briefmarken noch deutlich. Ihre mehrfache Rolle als Bildträger, Textträger und Poststück macht sie als Objekte sogar erheblich komplexer. In vielen Fällen in Serie produziert, werden Ansichtskarten durch den Gebrauch individualisiert und angereichert. Sie sind demzufolge multimodale Zeugnisse und dokumentieren auf besondere Weise, Kultur-, Sozial- und Postgeschichte von den 1870er-Jahren (nahezu) bis in die Gegenwart.
Entsprechend verwundert es nicht, dass Ansichtskarten nicht nur weithin privat gesammelt werden, sondern auch in Kulturerbe- und Wissenschaftseinrichtungen auflaufen. Bemerkenswert ist dabei jedoch auch, dass eine systematische Philokartie, analog zur Philatelie und vielleicht sogar zur Numismatik, nicht nennenswert herausgebildet hat. Während Ansichtskarten omnipräsent waren, blieb die Ansichtskartenforschung eine Randerscheinung.
Zu den Ursachen lassen sich Thesen aufstellen. Diese laufen in den meisten Fällen auf die Frage zu, wie sich ein scheinbar formalisiertes, in der Gebrauchspraxis dagegen sehr heterogenes Objekt, das noch dazu in unüberschaubaren Mengen und nicht standardisierten Überlieferungsstrukturen vorliegt, für eine systematische Beforschung erschließen und nutzen lässt.
Ansichtskartenforschung ist fast idealtypisch im für die Digital Humanities typischen Spannungsverhältnis zwischen den Close Reading erfordernden Einzelobjekten in der Distant Reading erzwingenden Materialmenge.
An der Herzogin Anna Amalia Bibliothek ist mit der Sammlung Georg Jäger ein Beispielbestand von mehr als 40.000 Karten vorhanden, deren jeweils individuelle händische Sichtung mit dem Ziel der Forschungsvorbereitung allein schon unmöglich scheint. Will man sie zusätzlich für die Forschung nutzbar machen, geht der Weg nur über Digitalisierung und eine forschungsrelevante Erschließung. Über eine solche Datafizierung wird nicht nur eine facettierte Recherche möglich, die selbst bereits einen erheblichen Mehrwert darstellt. Vielmehr ermöglichen dafür geeignete Datenstrukturen auch, Beziehungen zwischen Karten zu visualisieren, Muster in Bild, Text und Gebrauch zu erkennen und so entsprechende Einsichten, sowohl in die Sammlung insgesamt als auch zu den Einzelobjekten, zu gewinnen.
Leider liegen für das Medium Ansichtskarte in kulturinstitutionellen Datenräumen bisher keine verbindlichen Standards, teils sogar nicht einmal Best-Practice-Anwendungsfälle vor. Zugleich ist zu beachten, dass der Sammler Georg Jäger selbst eine aus Sammlungsinteresse entstandene Ordnung und mehrstufige Kategorisierung vornahm. Bei Sammlungsübernahmen entsteht also unvermeidlich die Frage, ob und wie man die Sammlungslogik auch digital abbildet, die bei Betrachtung der Einzelobjekte naturgemäß nur einem Zugang entspricht?
In unserem ersten Workshop zum Thema möchten wir daher anhand der Sammlung Georg Jäger exemplarisch die Anforderungen für eine digitale Nutzbarmachung des Objekts Ansichtskarte ermitteln.
Am 05. April 2023 werden wir also im Studienzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek buchstäblich die Karten auf den Tisch legen und gemeinsam eine Annäherung an Nutzungsszenarien, Analysekriterien und potentiell zu erfassende Eigenschaften der Objekte auf der materialen und inhaltlichen Ebene vornehmen.
Der Workshop findet in Präsenz statt und richtet sich zunächst an Expert*innen aus der KSW. Die Zahl der Teilnehmenden ist auf zehn Personen begrenzt.
Am Thema Philokartie und Bürger*innenwissenschaft (bzw. Citizen Science) Interessierte sind unabhängig davon herzlich eingeladen, mit uns über digital.makerspace@klassik-stiftung.de in Kontakt zu treten, da aufbauend auf den Ergebnissen dieses Workshops, weitere Veranstaltungen geplant sind.